Adiós Hemingway
dem der Schriftsteller Siesta gehalten und seinen Rausch ausgeschlafen hatte. El Conde wusste: Bald kam er hier zu einem Ende, und er nahm innerlich Abschied von der Finca. Wenn sich seine Vorahnungen immer noch so zielsicher bewahrheiteten wie früher, würden viele Jahre vergehen, bevor er an diesen nostalgiebeladenen Ort der Literatur zurückkehren würde.
Mit der noch nicht angezündeten Zigarette im Mund ging er zum Garten hinunter, zum Brunnen, um den herum die Polizisten eine Grube von etwa dreißig Quadratmetern ausgehoben hatten. Erst hier, am Rande des Riesenlochs, mit dem Rücken gegen den kahlen Stamm eines afrikanischen Pfefferbaums gelehnt, zündete sich El Conde die Zigarette an und versuchte sich vorzustellen, wie es hier vor vierzig Jahren ausgesehen hatte. Die Trainingsplätze für Kampfhähne waren normalerweise rund, dachte er, wie die offiziellen Hahnenkampfplätze, die im Allgemeinen jedoch von ein Meter hohen, mit Jutesäcken behangenen Holzzäunen eingegrenzt waren und einen Kampfring von vier oder fünf Metern Durchmesser bildeten. Überdacht waren sie nicht, erinnerte er sich weiter, aber der Schatten von Mangobäumen, afrikanischen Pfefferbäumen oder einer Ceiba sorgten dafür, dass Kampfhahnzüchter, Trainer und Zuschauer es hier stundenlang aushalten konnten, ohne von der Sonne belästigt zu werden. El Condes Fantasie lief auf Hochtouren. Er sah Toribio vor sich, den Geschorenen, so wie er ihn einmal bei einem Hahnenkampf erlebt hatte. Mit Hose und Trägerhemd bekleidet, steht Toribio im Ring, in den Händen einen Hahn, und versucht, einen zweiten Hahn zu reizen, sein Blut in Wallung zu bringen. Die Sporen beider Hähne sind mit Stoff umwickelt, um ernste Verletzungen der Tiere zu vermeiden. Hemingway steht hinter der Absperrung aus Jutesäcken und beobachtet schweigend die Aktion. In sein Gesicht kommt Leben, als Toribio den Hahn in den Ring wirft. Die Tiere gehen aufeinander los, spreizen die tödlichen, im Moment aber nur dekorativen Sporen und wirbeln die Holzspäne vom Boden auf … Die Holzspäne! El Conde sah sie unter den Klauen hochspritzen, und dann wurde ihm alles klar. Man hatte den Toten an der einzigen Stelle vergraben, an der die aufgewühlte Erde keinerlei Verdacht erregen würde. Nachdem die Grube wieder zugeschüttet worden war, hatte man den Boden erneut mit Holzspänen bedeckt.
Gemächlich ging El Conde zum Haus zurück. Er setzte sich auf die Eingangstreppe und wartete. Er wusste, wenn er Hemingway einigermaßen richtig einschätzte, würde Manolo gleich mit einer Empfangsbestätigung herauskommen, die das Datum 3. Oktober 1958 trug. Und so war er nicht überrascht, die Stimme des Teniente zu hören, der mit einem Papier in der Hand auf ihn zukam.
»Ich habs gefunden, Conde.«
»Wie viel hat er ihm gezahlt?«
»Fünftausend Pesos.«
»Zu viel. Auch für Hemingway.«
»Wer war Calixto Montenegro?«
»Ein zwielichtiger Bursche, der auf der Finca gearbeitet hat. Hemingway hat ihn am 3. Oktober entlassen. Er hat ihm eine Abfindung gezahlt und ihn, wenn ich mich nicht sehr irre, auf der Pilar nach Mexiko gebracht.«
»Warum das denn?«
»Weil Calixto als Einziger dabei war, als der FBI-Agent ermordet wurde … Obwohl ich mir sicher bin, dass er nicht der Einzige war, der gesehen hat, wie die Leiche auf dem Hahnenkampfplatz verbuddelt wurde.«
»Und wer hat den Mann nun umgebracht?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber wir können es gleich rauskriegen. Vielleicht hast du Zeit und Lust, mit mir nach Cojimar zu fahren …«
»Tag, Ruperto.«
»Du schon wieder?«
»Ja, aber diesmal hab ich die Polizei mitgebracht. Die Dinge stehen schlecht, Ruperto. Das hier ist Teniente Palacios.«
»Ziemlich dünn für einen Teniente«, stellte Ruperto lächelnd fest.
»Das sag ich ja auch immer«, stimmte El Conde zu und setzte sich auf den Stein, auf dem er bereits am Morgen gesessen hatte. Ruperto lehnte noch an demselben Baum wie Stunden zuvor, seinen Panamahut auf dem Kopf und die Anlegestelle fest im Blick. Es schien, als hätte er sich nicht von seinem Platz fortbewegt und als wäre die Unterhaltung vom Morgen nur kurz unterbrochen worden. Lediglich die Zigarre, die er zwischen den Fingern hielt, zeugte von den seither vergangenen Stunden. Sie war fast bis zur Neige aufgeraucht und verströmte einen bitteren Gestank nach verbranntem Gras.
»Ich wusste, dass du wiederkommen würdest.«
»Hab ich Sie lange warten lassen?«, fragte El Conde, wobei er Manolo einen
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