Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
anderen Rotlichtbezirk wieder auf. Einige folgen Messen und Kongressen; andere arbeiten an LKW-Rasthöfen. Wenn dieses Mädchen ein festes Netzwerk von Verwandten oder Freunden gehabt hätte, hätte sie mittlerweile irgendjemand
vermisst gemeldet. Sie könnte aus dem Ausland stammen, aber von Interpol haben wir auch nichts.«
»Ich weiß nicht genau, wie ich Ihnen helfen kann.«
»Was können Sie mir über sie sagen?«
Obwohl ich es kaum ertragen kann, in ihr angeschwollenes Gesicht zu blicken, sammele ich bereits Einzelheiten. Sie trägt eine praktische und pflegeleichte Kurzhaarfrisur, die schnell trocknet und nicht dauernd geföhnt werden muss. Ihre Ohrläppchen sind nicht durchstochen. Ihre Fingernägel sind kurz und gepflegt. Sie trägt keine Ringe, und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sie normalerweise welche getragen hat. Sie ist schlank mit heller Haut, mehr Hüften als Brüste. Ihre Augenbrauen sind sorgfältig gezupft, und das ordentliche Schamhaardreieck deutet darauf hin, dass sie sich vor kurzem die Bikinizone epiliert hat.
»Trug sie Make-up?«
»Ein wenig Lippenstift und Kajal.«
»Ich muss mich einen Moment irgendwo hinsetzen und den Obduktionsbericht lesen.«
»Ich suche Ihnen ein leeres Büro.«
Zehn Minuten später starre ich, allein an einem Schreibtisch sitzend, auf einen Stapel Fotoalben mit Ringbucheinband sowie dicke Mappen mit Untersuchungsergebnissen, darunter der Obduktionsbericht und die Ergebnisse der Bluttests.
Ich lese die Zusammenfassung.
GERICHTSMEDIZINISCHES INSTITUT
CITY OF WESTMINSTER
Obduktionsbericht
Name:
Unbekannt
Obduktionsbericht Nr: DX-34 468
Geburtsdatum:
Unbekannt
Todeszeitpunkt:
Unbekannt
Alter:
Unbekannt
Obduktion:
12. 10. 2000 – 9.15 Uhr
Geschlecht:
Weiblich
Anatomische Zusammenfassung:
14 Hautdurchtrennungen und Schnittwunden an Brust, Unterleib und Oberschenkeln bis zu einer Tiefe von 30,4 Millimetern und einer Breite von 12,7 bis zu 76,2 Millimetern.
Vier Hautdurchtrennungen am linken Oberarm.
Drei Hautdurchtrennungen an Nacken und linker Schulter.
Stich- und Schnittwunden verursacht durch einen scharfen Gegenstand, der Stichkanal deutet darauf hin, dass die Waffe von oben nach unten geführt wurde.
Die »Probierschnitte« sind allgemein gerade und finden sich neben den tieferen Einschnitten.
Schwere Blutergüsse und Schwellungen am linken Wangenknochen und in der linken Augenhöhle.
Leichte Blutergüsse am rechten Oberarm und Abschürfungen an der linken Tibia und der rechten Ferse.
Oral-, Vaginal- und Rektalabstrich sauber.
Vorläufiger toxikologischer Befund:
Blutalkohol – nicht festgestellt
Spuren von Drogen im Blut – nicht festgestellt
Todesursache:
Auf dem Röntgenbild erkennt man eine Luftblase in der rechten Herzkammer, die auf eine schwere und tödliche Luftembolie hinweist.
Ich überfliege den Bericht auf der Suche nach speziellen Details. Ich bin nicht an den Einzelheiten ihres Todes interessiert, ich
suche vielmehr nach Hinweisen auf ihr Leben. Hatte sie alte Knochenbrüche? Gab es Anzeichen von Drogenkonsum oder sexuell übertragbaren Krankheiten? Was hat sie als Letztes gegessen? Wie lange war es her, dass sie gegessen hatte?
Ruiz tritt ein, ohne anzuklopfen. Er stellt einen Plastikbecher Kaffee auf den Schreibtisch und klopft seine Taschen auf Zigaretten ab, die nur in seiner Fantasie existieren. Ersatzweise knirscht er mit den Zähnen. »Und was können Sie mir sagen?«
»Sie war keine Prostituierte.«
»Warum nicht?«
»Das Durchschnittsalter, in dem Mädchen zu Prostituierten werden, liegt bei sechzehn. Diese Frau war Mitte zwanzig, vielleicht älter. Es gibt keinerlei Anzeichen für langjährige Promiskuität oder Geschlechtskrankheiten. Prostituierte müssen häufig Abtreibungen vornehmen lassen, weil sie zu ungeschütztem Verkehr gezwungen werden, aber dieses Mädchen ist nie schwanger gewesen.«
Ruiz klopft drei Mal auf den Tisch, als wollte er drei Punkte setzen. Er will, dass ich weiterspreche.
»Prostituierte am hochklassigen Ende der Skala verkaufen eine Fantasie. Sie geben sich viel Mühe mit ihrer Erscheinung und ihrem Auftreten. Diese Frau hatte kurze Fingernägel, eine jungenhafte Frisur und kaum Make-up. Sie trug praktische Schuhe und wenig Schmuck. Sie hat keine teuren Feuchtigkeitscremes benutzt oder ihre Fingernägel lackiert. Sie hat sich ihre Bikinizone behutsam epiliert …«
Ruiz wandert wieder durchs Zimmer, den Mund halb offen, die Stirn gerunzelt.
»… sie hat ihren Körper
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