Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
Kinderheim in Brentford begegnet. Ich war von der Gesundheitsbehörde von West London gerade als klinischer Psychologe im Praktikum angenommen worden.
Sie kam herein, setzte sich und zündete sich einen Zigarette an, ohne meine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Sie war damals erst fünfzehn Jahre alt, hatte jedoch eine fließende Anmut und Sicherheit in ihren Bewegungen, die einen zu lange hingucken ließen.
Einen Ellenbogen auf den Tisch gestützt und die Zigarette ein paar Zentimeter von ihrem Mund entfernt, starrte sie an mir vorbei zu dem hohen Fenster. Rauch kräuselte sich in ihrem widerborstigen Haarschopf. Ihre Nase war irgendwann einmal gebrochen worden, und an einem Vorderzahn fehlte eine Ecke, nach der sie in regelmäßigen Abständen mit ihrer Zunge tastete.
Elisa war aus einem vorübergehend in einem Abbruchhaus eingerichteten Bordell gerettet worden. Die Türen waren verriegelt gewesen, sodass man sie nicht von innen öffnen konnte. Sie und eine weitere minderjährige Prostituierte waren drei Tage lang eingesperrt und von Dutzenden von Männern vergewaltigt worden, denen man Sex mit Minderjährigen angeboten hatte. Ein Richter hatte sie in staatliche Obhut überwiesen, aber Elisa rannte immer wieder aus dem Kinderheim weg. Sie
war zu alt, um bei einer Pflegefamilie untergebracht zu werden, und zu jung, um alleine zu leben.
Bei unserer ersten Begegnung musterte sie mich mit einer Mischung aus Verachtung und Neugier. Sie war es gewohnt, mit Männern umzugehen. Männer waren manipulierbar.
»Wie alt bist du, Elisa?«
»Das wissen Sie schon«, sagte sie und wies auf die Akte in meiner Hand. »Ich kann warten, bis Sie sie gelesen haben, wenn Sie wollen.« Sie machte sich über mich lustig.
»Wo sind deine Eltern?«
»Tot hoffentlich.«
Laut der Akte hatte Elisa bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in Leeds gelebt, bis sie kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag davongelaufen war.
Die meisten ihrer Antworten beschränkten sich auf das nackte Minimum – warum zwei Wörter verwenden, wenn eines reicht? Sie klang großspurig und gleichgültig, doch ich wusste, dass sie verletzt war. Irgendwann gelang es mir, ihren Panzer zu durchbrechen. »Wie kann man bloß so wenig wissen, verdammt noch mal?«, schrie sie mich an, und ihre Augen glänzten vor Erregung.
Es war Zeit, etwas zu riskieren.
»Du denkst, du bist eine Frau, oder? Du denkst, du weißt, wie man Männer wie mich manipuliert. Nun, du irrst dich! Ich bin kein wandelnder 50-Pfund-Schein auf der Suche nach einem Blowjob oder einem Quickie in einem Hinterhof. Also verschwende meine Zeit nicht. Woanders werde ich dringender gebraucht. «
In ihren Augen flackerte Wut auf und erlosch wieder, bevor sich ein Schimmer über ihre Pupillen legte. Sie fing an zu weinen. Zum ersten Mal sah sie so aus und benahm sich wie ein Mädchen ihres Alters. Unter Schluchzern und in Brocken kam ihre Geschichte heraus.
Ihr Stiefvater, ein erfolgreicher Geschäftsmann in Leeds, hatte
einen Haufen Geld damit verdient, Wohnungen zu kaufen und zu renovieren. Für eine allein erziehende Mutter wie Elisas war er ein echter Fang. Sie konnten aus ihrer Sozialwohnung in ein richtiges Haus mit Garten ziehen. Elisa hatte ihr eigenes Zimmer. Sie ging aufs Gymnasium.
Als sie zwölf war, kam ihr Stiefvater eines Nachts in ihr Zimmer. »Das machen die Erwachsenen so«, sagte er, legte ihre Beine über seine Schultern und seine Hand auf ihren Mund.
»Danach war er so nett zu mir«, sagte sie. »Er hat mir Kleider und Schminke gekauft.«
Das Ganze ging zwei Jahre, bis Elisa schwanger wurde. Ihre Mutter nannte sie ein »Flittchen« und verlangte den Namen des Vaters zu wissen. Sie stand vor ihr und wartete auf eine Antwort, als Elisa ihren Stiefvater anblickte, der in der Tür stand und sich mit dem Zeigefinger quer über den Hals strich.
Sie rannte weg. In der Tasche ihres Schuljacketts hatte sie die Adresse einer Abtreibungsklinik. Dort traf sie eine gut vierzigjährige Krankenschwester mit einem gütigen Gesicht. Ihr Name war Shirley, und sie bot Elisa eine Unterkunft an, bis sie sich erholt hatte.
»Und wirf deine Schuluniform nicht weg.«
»Warum?«
»Vielleicht ist sie irgendwann noch mal nützlich.«
Shirley war eine Mutterfigur für ein halbes Dutzend Mädchen im Teenageralter, die sie alle liebten. Sie gab ihnen ein Gefühl von Sicherheit.
»Ihr Sohn war ein echter Vollidiot«, sagte Elisa. »Er schlief mit einer Schrotflinte unter dem Kopfkissen und dachte, er
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