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Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Titel: Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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klopft an das Fenster, und eine Angestellte hinter einem Tresen drückt uns die Tür auf. Sie hat blonde Haare mit schwarzen Wurzeln und gezupfte Augenbrauen so dünn wie Zahnseide. An den Wänden reihen sich Aktenschränke und weiße Tafeln. Auf einer Stahltür am anderen Ende steht: »ZUTRITT NUR FÜR PERSONAL«.
    Eine Erinnerung an mein Medizinstudium schießt mir durch den Kopf. Bei meiner ersten praktischen Übung an einer Leiche bin ich ohnmächtig geworden und musste mit Riechsalzen wieder geweckt werden. Daraufhin wählte mich der Dozent aus, dem Kurs zu demonstrieren, wie man bei einer Biopsie eine 150-mm-Nadel durch den Unterleib in die Leber stößt. Anschließend gratulierte er mir zu einem neuen Universitätsrekord im Durchstechen möglichst vieler Organe in einem Anlauf.

    Ruiz überreicht der Frau hinter dem Tresen einen Brief.
    »Soll ich eine komplette Leichenschau veranlassen?«
    »Der Kühlschrank reicht«, erwidert er, »aber ich brauche eine KT.« Sie gibt ihm eine große braune Papiertüte.
    Die schwere Tür öffnet sich zischend wie eine Druckschleuse, und Ruiz tritt zur Seite, um mich vorgehen zu lassen.
    Die Wände sind aus glänzendem Stahl, ein Dutzend Rollbahren stehen ordentlich nebeneinander geparkt. Drei Wände werden von Leichenfächern eingenommen, die aussehen wie überdimensionierte Aktenschränke mit großen quadratischen Griffen für zwei Hände.
    Ich merke, dass Ruiz immer noch redet. »Der Gerichtsmediziner schätzt, dass sie neun oder zehn Tage in der Erde gelegen hat. Bis auf einen Schuh und eine goldene Kette mit einem St.-Christopherus-Medaillon war sie nackt. Ihre restliche Kleidung haben wir bisher nicht gefunden. Es gibt keinerlei Anzeichen für sexuelle Gewalt…« Er liest das Etikett an einer der Schubladen und packt den Griff. »Ich denke, Sie werden sehen, warum wir die mögliche Todesursache weitgehend einschränken konnten.«
    Die Schublade gleitet widerstandslos auf. Ich reiße den Kopf weg und mache einen Satz zurück. Ruiz reicht mir die braune Papiertüte an, als ich mich würgend vornüberbeuge. Es ist schwierig, sich gleichzeitig zu übergeben und nach Luft zu ringen.
    Ruiz hat sich nicht gerührt. »Wie Sie sehen, ist ihre linke Gesichtshälfte mit schweren Blutergüssen bedeckt und das Auge komplett zugeschwollen. Irgendjemand hat sie gründlich bearbeitet. Deshalb haben wir auch die Zeichnung und kein Foto veröffentlicht. Sie hat mehr als zwanzig Stichwunden, keine tiefer als zweieinhalb Zentimeter. Aber der eigentliche Hammer ist, dass sie sich jede einzelne selbst beigebracht hat. Der Gerichtsmediziner hat Spuren von Zögern erkannt, so genannte ›Probierschnitte‹. Sie musste erst den Mut aufbringen, die Klinge durch die Haut zu stoßen.«
    Ich hebe den Kopf und sehe für einen Moment sein in dem
Stahl gespiegeltes Gesicht. In diesem Augenblick erkenne ich es: Angst. Er muss schon Dutzende von Verbrechen untersucht haben, aber dieses ist anders, weil er es nicht versteht.
    Mein Magen ist leer. Schweißgebadet und in der Kälte zitternd richte ich mich auf und betrachte die Leiche. Man hat nichts unternommen, um die Würde der Frau wiederherzustellen. Sie ist nackt, die ausgestreckten Arme liegen neben ihrem Körper, die Beine sind geschlossen.
    Das matte Weiß ihrer Haut lässt sie beinahe wie eine Statue wirken, nur dass diese Statue geschändet worden ist. Ihre Brust, ihre Arme und Oberschenkel sind mit dunkelroten und rosafarbenen Schnitten übersät. An den Stellen, wo sich die Haut spannt, klaffen die Wunden wie leere Augenhöhlen, an anderen Stellen haben sie sich natürlich geschlossen und lecken winzige Tropfen wie kleine Tränen.
    Ich habe im Medizinstudium an Obduktionen teilgenommen. Ich kenne die Prozedur. Sie ist vom Hals bis zum Unterleib fotografiert, abgetupft, abgestrichen und aufgeschnitten worden. Ihre Organe sind gewogen und ihr Mageninhalt analysiert worden. Körperflüssigkeiten, Hautreste und der Dreck unter ihren Fingernägeln sind in Plastiktüten versiegelt oder auf Glasplättchen präpariert worden. Ein einstmals strahlendes, lebendiges menschliches Wesen voller Energie ist zum Ausstellungsstück A geworden.
    »Wie alt war sie?«
    »Irgendwo zwischen 25 und 35.«
    »Und was lässt Sie vermuten, dass sie eine Prostituierte war?«
    »Es ist fast zwei Wochen her, und niemand hat sie vermisst gemeldet. Sie wissen besser als ich, wie Prostituierte herumziehen. Sie nehmen Tage oder Wochen frei und tauchen dann in einem völlig

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