Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adrianas Nacht

Adrianas Nacht

Titel: Adrianas Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon von Winterstein
Vom Netzwerk:
Antwort kam, schlief ich ein. Die Antwort lautete: Liebend gern. Wo? Wann?

22.
    Das Ratatouille war eines der besten Restaurants der Stadt, betrieben von einem jungen, aus dem Badischen stammenden Sternekoch. Mit etwas Überredung war es mir gelungen, noch einen Tisch für Marie und mich zu bekommen.
    Ich hatte den Tag in der Agentur verbracht und war gegen Abend noch einmal heimgefahren, um erneut zu duschen, mich zu rasieren, neu einzukleiden. Für den Fall, dass der Abend bei mir enden würde, hatte ich Früchte eingekauft, Prosecco und exotisches Knabberzeug.
    Weil ich nicht wusste, ob ich in der Nähe des Restaurants einen Parkplatz finden würde, fuhr ich zeitig los, fand, wie das so ist, wenn man rechtzeitig irgendwohin fährt, gleich eine Parkmöglichkeit und war also gut zehn Minuten zu früh. Der Abend war schon etwas kühler, feucht, windig, daher waren die Tische draußen fast alle frei. Dorthin setzte ich mich und wartete auf Marie.
    Ich war ein wenig stolz auf mich. Innerhalb eines Tages hatte ich einiges wieder ins Reine oder zumindest ins Rollen gebracht. Nun sollte Marie die ganze Geschichte (von Adriana und mir, nicht Nicole, Simone, Anna) hören. Sie sollte wissen, welches Bündel ich mit mir schleppte, was mich belastete, was mich noch lange Zeit beschäftigen würde. Lange Zeit, insofern Adriana, und das wusste ich damals nicht, lange Zeit nicht erwachen wollte. Nach einigen Monaten wurde sie in eine Spezialklinik nach Süddeutschland gebracht, und ihr Mann und Toni zogen mit. Dort erwachte sie zwei Jahre nach dem Unfall. Sie konnte sich an nichts erinnern (ich war gelöscht worden, was sicher besser für uns beide war.), wurde aber mit speziellen Rehabilitationsmaßnahmen im Lauf der Zeit fast ohne grundlegende Behinderungen wieder entlassen und lernte, das, was wichtig war, ihren Mann und Toni, wieder lieben. Wie ich von einer Freundin von Nicole hörte, ist sie bis heute bei ihrer Familie geblieben.
    Marie kam die Straße heruntergelaufen. Wenn mich einmal jemand bitten sollte, einen Film über das Gehen zu drehen, so würde ich einfach neunzig Minuten Marie dabei begleiten, wie sie durch die Stadt geht. Energisch und anmutig zugleich, mit großen Schritten, aber trotzdem in einer Mischung aus Damenhaftigkeit und dem Hüpfen eines jungen Mädchens, in das eine Sommerlaune gefahren ist. So kam Marie an jenem Abend zu mir, unbeirrbar auf ihr Ziel zulaufend, und mein Glück war, ich war ihr Ziel.
    Sie war mit einem halblangen, sehr schlichten, raffiniert geschnittenen, tiefblauen Sommerdress bekleidet, von dem sie später, als sie es wieder einmal trug, sagte, sie hätte es für jenen Abend gewählt, weil sie sich darin körperlich so ungemein wohl und gutaussehend fühlte und, was für die Wahl des Kleides in Bezug zum Plan des Abends ausschlaggebend war, weil sie so schnell und unkompliziert aus dem Kleid wieder herauskam im ersehnten Moment.
    Über dem Kleid trug sie einen einfachen hell khakifarbenen Sommertrenchcoat, einen Klassiker, dessen Gürtel im Rücken so gebunden war, dass der Mantel angenehm tailliert wirkte. Ihre schlanken Beine waren unbekleidet, schön gebräunt und glatt.
    Ich stand auf, ging Marie freudig einige Schritte entgegen, und sie rannte mit ausgebreiteten Armen in meine ausgebreiteten Arme. Ich hielt sie umarmt, steckte meine Nase in ihr betörend duftendes Haar und atmete diesen Duft, den Duft dieses Moments bis tief in mein Herz hinein. Sie küsste meinen Hals, weil es das erste Stückchen Haut war, das sie erreichen konnte. Sie küsste meine Wange, und sie küsste meinen Mund. Dann sagte sie, sie sei viel zu aufgeregt, um jetzt etwas zu essen oder viel zu reden, und ob ich sie nicht einfach endlich mit zu mir nach Hause nehmen könne. Ich sagte: »Ich nehme dich ab jetzt überall mit hin, Marie. Für immer.«
    Wir machten uns auf den Weg zu mir. An normalen Tagen würde ich für den Weg zwanzig Minuten brauchen. Fünf für den Fußweg zum Wagen, fünfzehn Minuten Fahrzeit. Aber mit Marie dauerte allein der Weg zum Wagen die doppelte Zeit. Wir waren trunken voneinander, noch bevor wir uns wirklich nahgekommen waren. Immer wieder blieben wir stehen und küssten uns und konnten dann nicht wieder aufhören. Wir standen den wenigen anderen Menschen im Weg, die an diesem Abend noch unterwegs waren und die dann böse schauten oder verächtlich. Und wir konnten nicht mehr voneinander lassen. Küssten, begannen, uns durch jede sich bietende Öffnung der Kleidung des anderen

Weitere Kostenlose Bücher