Adrianas Nacht
die Entwicklung der Agentur, aber das sei ja auch nicht entscheidend. Er wisse, dies wäre ein Schritt, vor dem wir uns bereits viel zu lange gedrückt hätten, dass die Agentur in Berlin präsent wäre. Von daher sei das alles sehr vernünftig, auch wenn er sich sicher sei, dass meine eigentliche Motivation wieder einmal völlig unvernünftig wäre. Und vielleicht, meinte Peter, müsse man das alles auch nicht so übers Knie brechen.
Aber genau das wollte ich. Mich schnell aus all dem wieder herauskämpfen, aus dem ich irgendwie kurzfristig herauskam, und die anderen Dinge (meine Schuld!) annehmen und vielleicht irgendwann etwas daraus lernen. Was Marie anging, wollte ich endlich versuchen, die Dinge richtig zu machen, nicht nur wie sie mir gefielen, sondern richtig, gut, tragfähig, vernünftig! Na ja, vielleicht nicht komplett vernünftig, ich war ja verliebt.
Meinen Nachmittag verbrachte ich damit, Anna hinterherzutelefonieren. Bevor ich die Tür zu den letzten Monaten meines Lebens hinter mir ins Schloss warf, sollte Anna noch hindurchschlüpfen dürfen. Ich fand, dass sie das verdient hatte, weil sie mir am Sonntagnachmittag eine so unglaubliche Dienstleistung erbracht hatte. Statt mir zu helfen, weiter vor mir und meiner Schuld wegzulaufen, hatte sie mich auf eine Spur geführt, mir ein Gefühl dafür gegeben, was sein könnte, wie es sich anfühlen könnte, zu lieben, ruhig und aufrichtig. Sie hatte mich für Marie geöffnet, mir ermöglicht, in Marie nicht nur meine nächste Eroberung zu sehen, nicht nur meine nächste erotische Ausschweifung. Anna hatte mir geholfen, so verquer das klingen mag, Marie wirklich zu lieben. So etwas hatte noch niemand für mich getan. Und obwohl ich vermutete, dass das nicht Annas Mission gewesen war, zweifelte ich nicht: Ich war ihr etwas schuldig!
So rief ich sie an und lud sie in die Agentur mit dem Hinweis, dass es sich um eine Art Berufsberatung handeln sollte, von daher wäre es gut, sie käme ohne den Mann im BMW, wäre seriös gekleidet und würde nicht über Los gehen und keine 250,- Euro einziehen dürfen. Ich würde ihr gern einen Vorschlag machen, das war alles, was ich wollte. Anna schien misstrauisch. Sie war natürlich nicht darauf vorbereitet, dass da einer ihrer Freier, bei dem beim Date irgendwas sehr danebengelaufen war, am nächsten Tag anrief und von einem Angebot redete, das sie angeblich nicht ausschlagen könne.
Nachdem ich mehrfach ins Gespräch eingeflochten hatte, dass unsere 52-jährige Buchhalterin, unsere 17-jährige Praktikantin, mein Kompagnon Peter sowie Wolf, sein Assistent, zum angepeilten Zeitpunkt unseres Treffens auch in der Agentur sein würden, willigte sie ein, am späten Nachmittag, so um fünf, zu mir zu kommen. Dann telefonierte ich mit Jochen, einem befreundeten Fotografen, und Annelie, einer sehr guten Visagistin, dass wir ein neues Gesicht in der Agentur hätten, das ich am Mittwoch gern fotografiert hätte. Mit Maren, einer Freundin und Schauspielerin, besprach ich die Konditionen für den Sprechunterricht, den Anna erhalten sollte, und dass sie die Rechnung an mich c/o die Agentur schicken sollte.
So wurde Anna meine letzte Neuklientin, bevor ich nach Berlin ging. Sie schaffte es nach einiger Zeit, wohl weil auch Peter einen Narren an ihr fraß, an diesem schönen und eigenwilligen Mädchen, mit einem, wie sich bald herausstellte, eisernen Willen, ihre Chance zu nutzen. Sie konnte von ihren Foto- und Werbejobs leben und ging bald nicht mehr anschaffen. (Und es ist ihr bis heute, da sie inzwischen nicht mehr ganz unbekannt ist, gelungen, diesen Teil ihrer Biographie geheim zu halten).
Zum Abendessen traf ich Nicole, sprach mit ihr über Adriana und gestand ihr meine Schuld. Sie sollte wissen, wie alles passiert war, für den Fall, dass Adrianas Tochter Toni, wenn das Schlimmste passieren sollte, von Nicole die Wahrheit erfahren wollte. Falls Toni mich dann in irgendeiner Form kontaktieren wollte oder auch zur Rechenschaft ziehen, gab ich Nicole die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie viel sie Toni von mir verraten würde. Ich gab ihr völlig freie Hand und verabschiedete mich auch von ihr. Für immer? Nein, ich sah sie neulich noch einmal auf einer Party in Kreuzberg mit einem jungen Mann in Richtung der Toiletten verschwinden. Sie sah umwerfend aus, ein Hauptgewinn für ihren Begleiter, jeden einzelnen seit damals.
Vor dem Einschlafen schickte ich eine SMS an Marie: Gehst du morgen Abend mit mir essen? Noch bevor eine
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