Aelita
Darauf lag, zur Hälfte über den Rand hängend, das Skelett eines Marsianers. Überall waren die Spuren eines grimmigen Kampfes zu sehen. Mit dem Kopf in eine Ecke gepreßt, lag ein zweites Skelett.
Hier fand Gussew im Kehricht einige kleine Gegenstände aus einem schweren geschmiedeten Metall, offenbar Schmuckstücke und Dinge des alltäglichen Gebrauchs einer Frau: kleine Gefäße aus farbigen Steinen. Er nahm von der zerfallenden Kleidung des Skeletts zwei durch ein Kettchen verbundene große, dunkle, golden schimmernde Steine an sich, die von innen zu leuchten schienen… »Das kann man brauchen«, sagte Gussew, »ich schenke es der Maschka…«
Losj betrachtete die Skulpturen im Gang. Neben den spitznasigen Köpfen der Marsbewohner, den Darstellungen von Meerungeheuern, bemalten Masken, gekitteten Vasen, die in Form und Zeichnung merkwürdig an etruskische Amphoren erinnerten, erregte seine Aufmerksamkeit eine große Büste. Sie stellte eine nackte Frau mit zerzaustem Haar und grimmigem asymmetrischem Gesicht dar. Ihre spitzen Brüste standen nach beiden Seiten ab. Den Kopf umrahmte ein goldener Reif aus Sternen, der über der Stirn parabolisch anstieg; in dem schmalen Bogen befanden sich zwei Kugeln: eine rubinrote und eine rötlich-ziegelfarbene. Die Züge des sinnlichen und gebieterischen Gesichts hatten etwas aufregend Bekanntes, etwas, was aus der unergründlichen Tiefe des Gedächtnisses aufstieg.
Neben der Büste war in der Wand eine kleine dunkle, von einem Gitter überdeckte Nische. Losj faßte mit den Fingern in die Stäbe des Gitters, aber es gab nicht nach. Da zündete er ein Streichholz an und erblickte auf einem vermoderten Kissen eine goldene Maske. Es war die Abbildung eines breitknochigen Menschenantlitzes mit ruhig geschlossenen Augen. Der halbmondförmige Mund lächelte. Die Nase hatte eine spitze Schnabelform. Auf der Stirn zwischen den Brauen befand sich eine kleine Schwellung in der Form eines vergrößerten Libellenauges. Das war derselbe Kopf, der auf dem Mosaikstreifen im ersten Saal abgebildet war.
Losj verbrannte die Hälfte des Inhalts seiner Streichholzschachtel, während er voll innerer Bewegung die wundersame Maske betrachtete. Nicht lange vor seinem Abflug von der Erde hatte er Photographien ähnlicher Masken gesehen, die vor einiger Zeit in den Ruinen der gigantischen Städte an den Ufern des Niger entdeckt worden waren, in jenem Teil Afrikas, wo man jetzt die Spuren der Kultur einer untergegangenen geheimnisvollen Rasse vermutete.
Eine der Seitentüren im Gang stand offen. Losj betrat einen langen, sehr hohen Raum mit einer Empore und gitterartigen Balustrade. Sowohl unten wie oben auf der Empore standen flache Schränke und lange Regale, auf denen in dichten Reihen kleine dicke Bücher aufgestellt waren. Ihre mit Golddruck verzierten gepreßten Lederrücken zogen sich in einförmigen Streifen an der grauen Wand entlang. In den Schränken standen kleine Zylinder aus Metall, in einigen auch riesige, in Leder oder Holz gebundene Bücher. Von den Schränken, den Regalen – aus den dunklen Ecken der Bibliothek blickten mit steinernen Augen die verrunzelten kahlen Köpfe gelehrter Marsianer herab. In dem Raum befanden sich auch einige tiefe Sessel sowie ein paar Kästen auf dünnen Beinen mit an der Seite angebrachten runden Schirmchen.
Mit angehaltenem Atem betrachtete Losj diese den Hauch der Verwesung und des Moders ausströmende Schatzkammer, wo, eingeschlossen in Bücher, die Weisheit der Jahrtausende, die über den Mars hinweggegangen waren, schwieg. Behutsam trat er an eines der Regale und schlug ein Buch auf. Das Papier war grünlich, die Schrift geometrisch, von angenehmer brauner Farbe. Eines der Bücher, das Werkzeichnungen von Maschinen enthielt, steckte Losj in die Tasche, um es später in Muße durchzublättern. In den Metallzylindern waren kleine gelbliche Walzen, die beim Anklopfen mit dem Fingernagel einen Ton gaben, wie die Walzen eines Phonographen, nur war ihre Oberfläche glatt wie Glas. Eine solche Walze lag in einem der Kästen mit den Schirmchen, offenbar bereit, geladen zu werden; in dem Augenblick, als das Haus im Kampf genommen wurde, hatte man sie wohl liegenlassen.
Alsdann öffnete Losj einen schwarzen Schrank, entnahm ihm aufs Geratewohl ein in Leder gebundenes, von Würmern zerfressenes, leichtes, aber dickes Buch und wischte behutsam den Staub davon ab. Seine gelblichen modrigen Blätter waren in unaufhörlichem Zickzack von oben nach unten
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