Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aelita

Aelita

Titel: Aelita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexej Tolstoi
Vom Netzwerk:
Sie saß unbeweglich und sah auf die Widerspiegelung der Sterne in dem schwarzen Wasser.
    »Aiu tu ira chas’che, Aëlita«, sprach Losj und horchte voller Verwunderung auf die seltsamen Laute seiner Worte. Er sprach sie mit Mühe aus, als hindere ihn eine große Kälte daran. Sein Wunsch: ›Darf ich bei Ihnen sein, Aëlita? ‹ hatte sich von selbst in diese fremden Worte gekleidet.
    Aëlita wandte langsam den Kopf und sagte: »Ja.« Losj setzte sich neben sie auf eine Stufe. Aëlitas Haar war mit einer schwarzen Kappe, der Kapuze ihres weiten Umhangs, bedeckt. Er konnte ihr Gesicht im Licht der Sterne erkennen, aber die Augen waren nicht zu sehen, nur die großen Schatten der Augenhöhlen.
Ruhig, mit einer etwas kühlen Stimme fragte sie: »Sind Sie glücklich gewesen, dort, auf der Erde?«
Losj antwortete nicht sogleich; er sah sie aufmerksam an: ihr Gesicht war unbeweglich, der Mund traurig geschlossen.
»Ja«, erwiderte er, »ja, ich bin glücklich gewesen.«
»Worin besteht das Glück bei Ihnen auf der Erde?«
Losj sah sie wiederum aufmerksam an. »Wahrscheinlich besteht das Glück bei uns auf der Erde darin, sich selbst zu vergessen. Glücklich ist derjenige, in dem die Fülle ist und die Eintracht und das Verlangen für die zu leben, die ihm diese Fülle, Eintracht und Freude geben.«
Jetzt wandte sich Aëlita ihm zu. Ihre großen Augen wurden sichtbar, die voller Staunen auf diesen weißhaarigen Riesen, den Menschen, blickten.
»Solch ein Glück kommt in der Liebe zu einer Frau«, sagte Losj.
Aëlita wandte sich ab. Die spitze kleine Kapuze auf ihrem Kopf zitterte. Lachte sie vielleicht? – Nein. Oder begann sie zu weinen? – Nein, Losj bewegte sich unruhig auf der moosbewachsenen Treppenstufe. Da sagte Aëlita mit leicht bebender Stimme: »Warum haben Sie die Erde verlassen?«
»Die, die ich liebte, ist gestorben«, sagte Losj. »Ich hatte nicht die Kraft, meine Verzweiflung zu überwinden, das Leben war schrecklich für mich geworden. Ich bin ein Flüchtiger und ein Feigling.«
Aëlita befreite ihre Hand und legte sie auf Losjs große Hand; sie berührte diese nur kurz und nahm sie wieder zurück, unter den Umhang.
»Ich wußte, daß dies in meinem Leben geschehen würde«, sprach sie wie gedankenverloren. »Schon als kleines Mädchen hatte ich merkwürdige Träume. Ich sah im Traume hohe grüne Berge. Helle Flüsse, nicht wie die unseren. Wolken, riesige weiße Wolken, und Regen – Ströme von Wasser. Und Menschen, die Riesen waren. Ich glaubte, ich würde wahnsinnig. Später hat mir mein Lehrer gesagt, das sei asch’che, das Zweite Gesicht. In uns, den Nachkommen der Magazitl, lebt die Erinnerung an ein andern Leben, es schlummert in uns das asch’che wie ein nicht aufgegangenes Samenkorn. Asch’che – das ist eine furchtbare Macht, eine große Weisheit, Aber ich weiß nicht, was Glück ist.«
Aëlita streckte jetzt beide Hände aus dem Umhang hervor und schlug sie wie ein Kind zusammen. Die kleine Kapuze zitterte wieder.
»Schon viele Jahre komme ich nachts auf diese Treppe und schaue auf die Sterne. Ich weiß viel. Ich versichere Ihnen, ich weiß Dinge, die Sie niemals wissen dürfen und auch nicht zu wissen brauchen; Aber glücklich war ich nur, wenn ich in der Kindheit von Wolken träumte, von den Wolken, den Wasserströmen, den grünen Bergen und von den Riesen. Mein Lehrer warnte mich: er sagte, daß ich untergehen würde.« Sie wandte Losj das Gesicht zu, und plötzlich flog ein Lächeln darüber hin.
Losj wurde es unheimlich: so wunderbar schön war Aëlita, ein so gefährlicher, bittersüßer Duft ging von ihrem Umhang, der kleinen Kapuze, von ihren Händen, dem Gesicht, von ihrem Atem aus.
»Der Lehrer sagte: ›Das chao wird dich verderben.‹ Dieses Wort bedeutet Abstieg.«
Aëlita wandte sich ab und schob die Kapuze des Umhangs tiefer über die Augen.
Nach einem Schweigen sagte Losj: »Aëlita, erzählen Sie mir von Ihrem Wissen.«
»Das ist ein Geheimnis«, sagte sie ernst, »aber Sie sind ein Mensch, ich werde Ihnen viel zu erzählen haben.«
Sie hob das Gesicht. Die großen Sternbilder zu beiden Seiten der Milchstraße glänzten und flimmerten, als ginge ein Windhauch der Ewigkeit über ihr funkelndes Licht hinweg. Aëlita atmete tief auf. »Hören Sie zu«, sagte sie, »hören Sie mir aufmerksam und ruhig zu.«

Aëlitas erste Erzählung
    »Tuma, das heißt der Mars, war vor zwanzig Jahrtausenden von den Aolen bewohnt, einer orangefarbenen Rasse. Die wilden Stämme der Aolen

Weitere Kostenlose Bücher