Aelita
Losj und Gussew waren wie benebelt.
»Gehen Sie und legen Sie sich schlafen«, sagte Aëlita zu ihren Gästen in der Sprache, deren Laute ihnen noch nicht vertraut waren, deren Sinn aber bereits in ihrem Bewußtsein aufdämmerte.
Auf der Treppe
Sieben Tage waren vergangen.
Wenn Losj sich später an diese Zeit erinnerte, erschien sie ihm als eine blaue Dämmerung, als ein wunderbares Ausruhen mit einer langen Reihe im Wachen erlebter Traumbilder.
Losj und Gussew erwachten morgens sehr früh. Nach dem Bad und einer leichten Mahlzeit begaben sie sich in die Bibliothek. Auf der Schwelle wurden sie von Aëlitas aufmerksamen und freundlichen Augen empfangen. Sie sprach Worte, die sie schon beinahe verstanden. In der Stille und dem Halbdunkel dieses Raumes wie in den leisen Worten Aëlitas war das Empfinden einer unaussprechlichen Ruhe; die Feuchtigkeit ihrer Augen schimmerte, die Augen weiteten sich zur Sphäre, und dort glitten Traumbilder vorüber. Schatten liefen über eine Scheibe. Worte drangen ohne jede Anstrengung des Willens in das Bewußtsein.
Die Worte – zuerst nur Laute, dann wie durch einen Nebel aufblitzende Begriffe – füllten sich allmählich mit dem Saft des Lebens. Wenn Losj jetzt den Namen Aëlita aussprach, erregte er sein Gefühl in zweifacher Weise: durch die Traurigkeit des ersten Wortes AE, welches bedeutete »das zum letztenmal Sichtbare«, und durch das Empfinden von silbernem Licht:
LITA, was soviel wie »Licht des Sternes« hieß. So ergoß sich die Sprache der neuen Welt als feinste Materie in das Bewußtsein.
Sieben Tage lang dauerte diese Bereicherung. Der Unterricht fand morgens und nach dem Sonnenuntergang bis Mitternacht statt. Schließlich wurde Aëlita jedoch offenbar müde. Am achten Tage wurden die Gäste nicht geweckt und sie schliefen bis zum Abend durch.
Als Losj sich vom Bett erhob, sah er durch das Fenster, daß die Bäume lange Schatten warfen. Ein Vogel pfiff kristallklar und eintönig. Losj zog sich schnell an, und ohne Gussew zu wecken, begab er sich in die Bibliothek; auf sein Klopfen antwortete jedoch niemand. Da ging Losj, zum erstenmal in diesen sieben Tagen, hinaus ins Freie.
Die Wiese zog sich sanft abfallend zum Hain und zu den niedrigen Gebäuden hin. Dorthin trottete soeben unter traurigem Gebrüll die Herde der langhaarigen plumpen Tiere, der Chaschi, die halb an Bären, halb an Kühe erinnerten. Die schrägen Strahlen der Sonne vergoldeten das krause Gras, die ganze Wiese loderte in feuchtem Gold. Smaragdgrüne Kraniche flogen über den See. In der Ferne trat, vom Abendrot übergossen, der schneeige Kegel eines Berggipfels hervor. Auch hier herrschte Ruhe und die Traurigkeit des in Frieden und Gold scheidenden Tages.
Losj ging auf dem ihm bekannten Pfad zum See. Die himmelblauen Bäume mit den hängenden Zweigen standen zu beiden Seiten, er erblickte dieselben Ruinen hinter den gefleckten Stämmen, es war dieselbe Luft – dünn und kühlend. Doch Losj schien es, als erblickte er erst in diesem Augenblick diese wunderbare Landschaft, als hätten sich seine Augen und Ohren geöffnet – er kannte nun die Namen der Dinge.
In leuchtenden Flecken glitzerte der See durch die Zweige. Als aber Losj zum Wasser kam, war die Sonne bereits untergegangen; leichte Flammenzungen, die feurigen Federn des Abendrots, liefen über den halben Himmel und umfaßten ihn, golden lodernd. Aber sehr schnell überzog sich das Feuer mit Asche, der Himmel klärte sich, und jetzt entzündeten sich auch schon die Sterne. Die seltsamen Umrisse der Sternbilder spiegelten sich im Wasser. An einer Krümmung des Sees, neben der Treppe, erhoben sich die schwarzen Kontoren der beiden steinernen Giganten, Wächter der Jahrtausende; ihre Gesichter waren den Sternbildern zugewandt.
Losj näherte sich der Treppe. Seine Augen hatten sich noch nicht an die rasch eintretende Dunkelheit gewöhnt. Er stützte sich mit dem Ellbogen auf den Sockel der Statue und atmete die feuchte Luft des Sees ein und den bitteren Duft der Wasserblumen. Die Spiegelungen der Sterne verschwammen im See, über dem Wasser rauchte ein ganz feiner Nebel. Die Sternbilder aber leuchteten immer heller, und jetzt waren die eingeschlafenen Zweige, die aufblitzenden Steinchen am Ufer und das lächelnde Gesicht des sitzenden Magazitl deutlich zu sehen.
Losj stand und schaute so lange, bis sein auf dem Stein ruhender Arm eingeschlafen war. Da trat er weg von der Statue, und sogleich erblickte er unten an der Treppe Aëlita.
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