Aelita
einer der gigantischen Wasserbehälter, der Zirkus Nummer elf, von den unterirdischen Arbeitern gesprengt worden sei; daß die Agenten der Regierung überall nach Waffenlagern suchten; daß Tuskub Truppen in Soazera zusammenziehe.
Gegen Mittag wurde fast überall die Arbeit eingestellt. Große Volksmengen strömten zusammen; sie erwarteten irgendwelche Ereignisse, blickten immer wieder zu den bedeutsamen, unordentlich angezogenen jungen Marsianern hin, die – die Hände in den Taschen vergraben – von irgendwoher aufgetaucht waren.
Um die Mitte des Tages flogen Regierungsboote über die Stadt, und ein Regen von weißen Proklamationsblättern flatterte vom Himmel auf die Straßen.
Die Regierung warnte die Bevölkerung vor den böswilligen Gerüchten: sie seien von Feinden des Volkes verbreitet worden. In den weißen Blättchen wurde gesagt, daß die Staatsgewalt noch nie so stark und so erfüllt von Entschlossenheit gewesen sei.
In der Stadt trat Stille ein, doch nicht für lange, und aufs neue krochen Gerüchte umher, das eine schrecklicher als das andere. Nur eines wußte man aus zuverlässiger Quelle: heute abend stand im Hause des Höchsten Rates der Ingenieure ein entscheidender Kampf zwischen Tuskub und dem Führer der Arbeiterbevölkerung von Soazera, dem Ingenieur Gor, bevor.
Gegen Abend füllte die Volksmenge den ganzen riesigen Platz vor dem Hause des Höchsten Rates. Die Treppe, die Eingänge und das Dach wurden von Soldaten bewacht. Ein kalter Wind hatte nebliges Wetter gebracht, in den feuchten Schwaden schaukelten die Laternen, einen rötlichen verschwommenen Lichtschein aussendend. Als undeutliche Pyramide erhoben sich im Nebel die düsteren Mauern des Hauses. Alle seine Fenster waren erleuchtet.
Unter dem schweren Deckengewölbe eines runden Saales saßen auf den Bänken des Amphitheaters die Mitglieder des Höchsten Rates. Die Gesichter aller waren aufmerksam und gespannt. An der Wand, hoch über dem Boden, glitten rasch hintereinander Bilder der Stadt über die Mattscheibe des Spiegels: das Innere der Fabriken, die Straßenkreuzungen mit den im Nebel herüber und hinüber laufenden Gestalten, die Umrisse der Wasserbehälter, der elektromagnetischen Türme, die von Soldaten bewachten, gleichförmigen, öden Gebäude der Magazine. Die Mattscheibe wurde unaufhörlich mit allen Kontrollspiegeln der Stadt verbunden. Doch jetzt tauchte der Platz vor dem Hause des Höchsten Rates der Ingenieure auf: ein Ozean von Köpfen, darüber verhüllende Nebelfetzen, breite Lichtstreifen der Laternen. Das Gewölbe des Saales hallte wider von einem unheildrohenden Murren der Menge.
Ein feines Pfeifen lenkte die Aufmerksamkeit der Anwesenden ab. Der Spiegel erlosch. Tuskub betrat die von schwarzgoldenem Brokat bedeckte Erhöhung vor dem Amphitheater. Er war bleich, ruhig und finster.
»In der Stadt sind Unruhen«, sagte Tuskub, »die Bevölkerung ist erregt durch das Gerücht, daß die Absicht bestehe, mir heute hier zu widersprechen. Allein dieses Gerücht genügte, um das Gleichgewicht des Staates ins Wanken zu bringen. Ich halte eine solche Lage der Dinge für ungesund und bedrohlich. Es ist notwendig, ein für allemal die Ursache einer derartigen Erregbarkeit auszumerzen. Ich weiß, daß mitten unter uns Personen sind, die noch heute nacht meine Worte in der Stadt verbreiten werden. Ich sage es offen: Die Stadt ist von Anarchie erfaßt. Durch meine Agenten bin ich davon unterrichtet, daß im Lande und in der Stadt nicht genügend Muskeln vorhanden sind, um Widerstand zu leisten. Wir stehen vor dem Untergang der Welt.«
Ein Murren ging durch das Amphitheater. Tuskub lächelte verächtlich.
»Die Kraft, welche die Ordnung der Welt zerstört, die Anarchie, geht von der Stadt aus. Die Ruhe und Gelassenheit der Seele, der natürliche Wille zum Leben, die Kraft der Gefühle werden hier in zweifelhaften Unterhaltungen und nutzlosem Vergnügen verschwendet. Der Rauch der Chawra – das ist die Seele der Stadt: Rauch und Wahngebilde. Das bunte Treiben auf den Straßen, Lärm, die Pracht der goldenen Boote und der Neid derer, die von unten her auf diese Boote blicken; Frauen, die ihren Rücken und Leib entblößen und sich mit erregenden aromatischen Essenzen wohlriechend machen; die bunten Flämmchen, die über die Fassaden der öffentlichen Häuser huschen; die fliegenden Bootsrestaurants in der Luft über den Straßen – das ist die Stadt! Die Ruhe und Gelassenheit der Seele verbrennt zu Asche. Solche
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