Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
Sonderpreis baumelt. Das Teil hing am Ständer mit den Auslaufmodellen vom Sommer. Zum Rock zieht sie eine weite, orangefarbene Bluse aus dünnem Stoff mit kleinen Blümchenstickereien an. Eine Verkäuferin wirft uns misstrauische Blicke zu. Zwei Frauen Mitte 50 , die zu viele Klamotten anprobieren und scheinbar nicht wissen, was sie wollen, fallen auf.
Als »verspielt« würde Britts Blümchenbluse wohl in einem Versandkatalog bezeichnet. Das Problem ist nur: Verspielt passt nicht so recht zu Britt mit ihren kinnlangen rotbraunen Haaren und dem inzwischen scharfkantigen Gesicht, dessen Altersschwellen unter den Augen ich eigentlich mag.
Extreme Sachen sind heikel im Alter, wobei es auch eine Frage des regionalen Standpunkts ist, was man unter »extrem« versteht. Neulich zum Beispiel habe ich ein Dirndl anprobiert. So ist das nun mal, wenn man als Berlinerin Verwandte in München hat, die zum Oktoberfest gehen. An manchen Frauen sehen Dirndl schon gut aus. Ach na ja, vielleicht will man auch mal was richtig Weibliches.
Das Problem offenbarte sich mir, als ich im Dirndl im Laden stand: Das geschnürte Mieder quetschte den Bauch unbarmherzig ein. So was kann man nur im Bierrausch ertragen. Und so adrett die gerüschte Bluse auch war– dass der Busen nach oben herausquillt, ist schon ungewohnt. Das Wort »drall« kam mir in den Sinn, als ich mich im Dirndl im Spiegel musterte. Man kann sich selbst fremd werden im falschen Outfit.
»Hippie funktioniert nicht mehr in unserem Alter«, sagt Britt und hängt den langen grünen Rock und die Bluse zurück. »Vielleicht probieren wir doch eher mal den klassischen Look.«
Termin mit der Chefin
Ich verschwinde mit ein paar Teilen in der Kabine. Wenige Minuten später stehe ich in einem Kostüm vor dem Spiegel. Es besteht aus einem knielangen Rock und einem hüftlangen, taillierten Blazer in Weinrot, genauer gesagt in Burgunder. Darunter habe ich eine cremefarbene Bluse aus Seide gezogen. Ein eindeutig weibliches Outfit. Doch der Anblick verunsichert mich. Ich sehe in dem Kostüm aus wie eine Chefsekretärin kurz vor dem Vorruhestand. Nicht wie jemand, der geliebt oder bewundert wird oder irgendeine Chance auf eine Hauptrolle hat.
»Wirkt matronenhaft«, sage ich. »Matrone war früher keine Beleidigung«, belehrt mich Britt, die einen Blick aus ihrer Umkleidekabine auf mich wirft. »Matrone« komme aus dem Lateinischen und bedeute so viel wie ehrbare Frau, Mutter, Respektsperson. »In dem Ensemble könntest du eine Chefin sein, die nach dem Tode ihres Mannes die Leitung eines mittelständischen Handwerksbetriebs übernommen hat«, schlägt sie vor. »Was glaubst du, wie zuvorkommend die männlichen Angestellten dann wären? Die würden dir zu Füßen liegen.«
Kostüme können aber auch gefährlich sein in unserem Alter. Angela Merkel bekam eine hämische Presse in ihrer Zeit, bevor sie Bundeskanzlerin wurde. Damals trat sie in Kostümen auf Auslandsreisen auf und wirkte neben den männlichen Politikern nicht wie eine Führungskraft, sondern wie eine biedere Hausfrau. Deutschland war nicht reif für eine Chefin im Bundeskanzleramt. Und Merkel brauchte ein anderes Image.
»Komm, wir probieren Hosenanzüge«, sagt Britt. »Wir versuchen was Neutrales.« Ich schäle mich aus Rock, Jacke und Bluse und hänge die Sachen wieder zurück. Die Verkäuferin tritt auf uns zu: »Suchen Sie etwas Bestimmtes?« Ich fühle mich sofort schuldig. »Wir suchen eher etwas Unbestimmtes«, gibt Britt freundlich zurück, »zum Beispiel Hosenanzüge.«
Hosenanzüge. Der Pariser Modemacher Karl Lagerfeld schwärmte von älteren Frauen in Hosenanzügen. Das sehe doch toll aus. Eine Frau solle ab 40 nicht mehr die Ellenbogen und ab 50 nicht mehr die Knie entblößen. Oder war es umgekehrt?
Britt hat sich alsbald in einen Armani-Hosenanzug verpackt, ich steige in ein Hosenensemble von Boss. Ich fühle mich ein bisschen so, als würde ich in der Lounge eines Luxushotels herumlungern, ohne dort jemals als zahlender Gast absteigen zu wollen. Wir sind ganz offensichtlich nur Frauen, die sich verkleiden, keine zahlungskräftigen Kundinnen. Kein Wunder, dass die Verkäuferin in fühlbarer Nähe bleibt.
Doch die Schneider des Designeranzugs hatten Mitgefühl, das spüre ich. Kein einschnürender Taillenbund, schließlich sitzt man lang an einem Zehnstundentag. Und den braucht man auch, um sich so einen Anzug leisten zu können. Der zurückhaltend taillierte Blazer fällt elegant über die Hose aus
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