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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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beiden Männer, denen die angebliche Hexe ihr Wissen übergab, hießen Hildebrand und Esebian, ein Arzt und ein Goldschmied. Hildebrand codierte die erhaltenen Informationen in exotischen Rezepten, von denen die meisten leider verloren gegangen sind. Nur das ist von ihnen übrig.« Ignazio deutete auf den rechten Schirm, der ein vergilbtes Schriftstück mit verschnörkelten Zeichen zeigte. »Esebian entwickelte
einen eigenen Code, eine Symbolsprache, die das Wissen festhalten sollte. Die Verzierungen der Schmuckstücke dort bestehen aus jenen Symbolen. Hildebrand weihte den Juden Efraim und die deutsche Kaufmannstochter Karoline ein; Esebian entschied sich für den englischen Adligen Sir George Theodore Winterbottom und einen französischen Gelehrten namens Claude Terganne.« Ignazio deutete auf die neuen Linien. Sie führten nach oben, in Richtung Gegenwart, wie dem Zeitlineal am Bildschirmrand zu entnehmen war.
    »Jeder dieser neuen Sapienti übergab sein Wissen sowohl mündlich als auch in codierter Form jeweils einem Nachfolger«, fuhr Ignazio fort, nachdem er erneut einen Schluck Wasser getrunken hatte. »Und zwar immer an jemanden von der gleichen Nationalität beziehungsweise vom gleichen Glauben.«
    »Wie ging es weiter?«, fragte der Papst, als Ignazio kummervoll auf den Bildschirm sah.
    »Es kam zu neuen Kriegen und neuen Unruhen. Epidemien forderten weitere Opfer. Sir Winterbottoms Linie fand ein Ende, als ein junger Kavallerie-Lieutenant 1781 im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg fiel. Zehn Jahre später kam ein an Tuberkulose leidender Nachfolger von Claude Terganne bei der Französischen Revolution ums Leben - ich konnte nicht feststellen, ob er sein Wissen zu jenem Zeitpunkt bereits weitergegeben hatte. Die Linie der Kaufmannstochter Karoline verliert sich in den Unruhen von 1848 in Deutschland.«
    »Und Efraim?«
    Ignazio wandte sich dem Papst zu. »Es ist wie eine bittere
Ironie des Schicksals, Heiliger Vater. Die jüdische Linie setzte sich länger fort als alle anderen, aber unglücklicherweise blieb die Familie in Deutschland. Nach mehr als dreihundert Jahren wurde Efraims Nachfolger von den Nazis verschleppt; er starb in Auschwitz.«
    Diesen Worten folgte neue Stille.
    »Gibt es niemanden mehr, der weiß, wie man die Sechs bekämpfen kann?«, fragte der Papst schließlich.
    »Ich habe noch nicht alle Hinweise untersucht, Heiliger Vater.« Ignazio rieb sich die brennenden Augen. »Vielleicht gibt es noch die eine oder andere Spur. Wenn nicht … In dem Fall müssen wir allein zurechtkommen.«
    Der Papst stand auf. »Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet, Ignazio. Meinen ausdrücklichen Dank dafür. Wenn man bedenkt, dass nach all den Jahrhunderten vielleicht gar nichts übrig geblieben ist …«
    »Oh, es ist etwas übrig.« Ignazio deutete auf den Bildschirm, der glänzendes Gold zeigte. »Esebians Schmuckstücke. Einige von ihnen existieren noch.«
    »Ich fürchte, wir brauchen mehr als nur ein bisschen Gold, um die Sechs aufzuhalten.« Der Papst ging zur Tür. »Setzen Sie die Suche nach Hinweisen fort, Ignazio.« Er hob den Finger. »Aber erst, nachdem Sie einige Stunden geschlafen haben. Das müssen Sie mir versprechen.«
    Ignazio neigte den Kopf. »Ja, Heiliger Vater.«
    Der Papst nickte und verließ das Zimmer.
    Einige Sekunden lang blickte Ignazio Giorgesi unschlüssig auf die Bildschirme hinab. Er wusste, dass der Papst recht hatte, dass Körper und Geist Ruhe brauchten, um richtig zu funktionieren. Aber noch war die Müdigkeit keine schwere Last,
und er glaubte nicht, dass er sein Versprechen brach, wenn er eine weitere Viertelstunde damit verbrachte, Daten auszuwerten und nach Spuren zu suchen.
    Er setzte sich wieder, und kurz darauf klickten die Tasten erneut unter seinen Fingern.

32
    Jugla, bei Riga
    M al regnete es, und dann leuchteten wieder Sterne am Himmel, aber Sebastian wusste nicht, ob sie wirklich existierten. Während Anna den Wagen durch die Nacht lenkte, verharrte er irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit. Ein dumpfer Schmerz begleitete ihn, der nicht den Körper betraf, sondern den Geist, vielleicht das, was Don Vincenzo »Seele« genannt hätte. Etwas breitete sich in ihm aus, wie ein geistiger Wundbrand, ein Etwas, das jenen Sebastian in der Zukunft veranlassen würde, ein Messer an Annas Hals zu setzen. Die Vorstellung, vollkommen die Kontrolle über sich zu verlieren und ebenso überzuschnappen wie die anderen, entsetzte ihn, und eine Zeit lang gab ihm dieses

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