Äon - Roman
Rolle. Wichtig ist, dass wir einen
Ausgangspunkt haben, von dem wir den Weg der Letzten bis in unsere Zeit verfolgen können.«
Der Papst nickte nachdenklich. »Wie weit sind Sie gekommen?«
Es hätte so viel zu erzählen gegeben, über die Einzelheiten persönlicher Schicksale, von Beziehungen und Verbindungen über die Abgründe der Zeit hinweg. Aber der Papst war nicht gekommen, um von solchen Dingen zu hören. Er brauchte Namen, die das Heute betrafen. Doch vorher waren zumindest gewisse Erklärungen notwendig.
»Von der Schar der Hundert kehrten weniger als fünfzig zurück«, fuhr Ignazio fort. »Sie errangen damals einen wichtigen Sieg, zahlten aber einen hohen Preis dafür.«
»Mehr als fünfzig von ihnen starben?«
»Ja. Die anderen schworen, das Wissen um die große Gefahr zu hüten und weiterzugeben, in ihrer jeweiligen Blutlinie.«
»Weil bestimmte Fähigkeiten erforderlich waren?«, fragte der Papst. »Die Macht von sogenannten Göttern?«
»Davon können wir ausgehen. Die Überlebenden übertrugen ihren Nachkommen eine wichtige Aufgabe: Sie sollten nicht nur das Wissen bewahren und ihrerseits weitergeben, sondern auch die Suche und den Kampf fortsetzen. Einundzwanzig Sapienti waren noch übrig, als der Sohn unseres Herrn geboren wurde, Jesus Christus. Sie verfolgten die Sechs und versuchten, sie zum Kampf zu stellen, aber das gelang ihnen erst, nachdem … das Schreckliche geschehen war.« Ignazio brachte es nicht fertig auszusprechen, was niemals bekannt werden durfte. »Sie überwältigten die Sechs und sperrten sie ein, in etwas, das die Menschen der damaligen Zeit und spätere Generationen für ein Grab hielten. Die Nachfahren von Gilgamesch
und der Schar der Hundert glaubten ihre Aufgabe erfüllt, doch gut zweihundert Jahre später öffneten Räuber das vermeintliche Grab.«
Der Papst nickte erneut.
»Zur Zeit von Hieronymus und Papst Innozenz I. war die Zahl der Sapienti auf siebzehn geschrumpft, und achthundert Jahre später, als sich die Sechs erneut in Jerusalem treffen wollten, waren es nur noch acht. Ich nehme an, dass sie Einfluss auf Innozenz III. nahmen, ihm den Brief des Hieronymus zur Kenntnis brachten und ihn dazu bewogen, den Kreuzzügen der Kinder seine Unterstützung zu versagen. Aber das sind Spekulationen. Die Sapienti unterhielten nie enge Beziehungen zur Kirche, weder mit unserer noch mit den Institutionen anderer Religionen. Während ihres Wegs durch die Jahrhunderte blieben sie unter sich. Von den acht Blutlinien, die Anfang des dreizehnten Jahrhunderts noch existierten, verschwanden sieben in den nächsten vierhundert Jahren, was vermutlich auch an der Großen Pest in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts lag. Über dreitausend Jahre hinweg hatten die Sapienti immer wieder Nachkommen mit gewöhnlichen Menschen gezeugt, und dadurch schwächten sich die besonderen Fähigkeiten in ihnen ab.«
Ignazios Mund war trocken geworden. Er griff nach dem Glas Wasser auf dem Schreibtisch und trank einen Schluck.
»Das sind keine guten Nachrichten«, sagte der Papst.
»Nein, Heiliger Vater.«
»Im siebzehnten Jahrhundert gab es nur noch einen, der Bescheid wusste?«
»Eine Frau«, sagte Ignazio und deutete auf den Bildschirm mit den Abstammungslinien. »Eine Zigeunerin namens Madeleine.
Im Jahr 1627 wurde sie in Deutschland als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
Einige Sekunden lang herrschte Stille. Der Papst wirkte betroffen, als er fragte: »Sie war die Letzte?«
»Mit ihr gingen die Blutlinien zu Ende«, sagte Ignazio. »Sie waren ohnehin recht schwach geworden und unterschieden sich kaum mehr von denen gewöhnlicher Menschen. Aber bevor Madeleine starb, vertraute sie ihr Wissen zwei Personen an, die ihrerseits jeweils zwei andere ins Vertrauen zogen: die Sechs gegen die Sechs.«
»Aber es waren keine direkten Nachkommen der Hundert«, stellte der Papst fest.
»Gewöhnliche Menschen empfingen das Wissen, Heiliger Vater. Madeleine sah keinen anderen Ausweg. Und hätte sie damals nur ein wenig länger gezögert, wäre das Wissen mit ihr auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
»Inquisition und Hexenverbrennungen zählen zu den schlimmsten Verbrechen der Kirche.« Der Papst blickte auf den Bildschirm mit den Namen. »Was ist aus den Menschen geworden, denen sich Madeleine anvertraute?«
Ignazio beugte sich vor und betätigte eine Taste. Neue Linien erschienen auf dem ersten Monitor, und einer der beiden anderen zeigte Schmuckstücke mit besonderen Mustern. »Die
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