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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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nicht, dass Sie sich dafür aufopfern müssen. Die Seele wohnt im Körper, und der Körper braucht Essen und Schlaf. Wir sind Geist und Fleisch.«
    »Ich weiß, Heiliger Vater.« Ignazio sank auf den Stuhl zurück. »Aber die Zeit drängt.«
    »Das stimmt bedauerlicherweise.« Der Papst sah auf die Bildschirme.
    Ignazio bemerkte seinen Blick. »Leider ist nur ein Teil des Archivs digitalisiert, und bei den archäologischen Fundstücken bin ich größtenteils auf Fotos angewiesen. Es wäre leichter, wenn ich einen direkten Textvergleich vornehmen könnte. Was die Übersetzungen betrifft … Sie weichen teilweise stark voneinander ab.«
    »Wenn Sie Hilfe brauchen … Ich stelle Ihnen so viele Assistenten zur Seite, wie Sie brauchen.«
    Ignazio drehte sich halb um und sah, wie der Papst einen Stuhl heranzog und Platz nahm.
    »Ich müsste ihnen sagen, wonach es zu suchen gilt«, erwiderte der Berater des Papstes. »Ich müsste zumindest einen Teil des Wissens mit ihnen teilen, und jeder zusätzliche Mitwisser erhöht das Risiko.«
    »Ich fürchte, darin bestand in den vergangenen Jahrhunderten eins der Probleme, nicht wahr? In der Geheimhaltung.«
    Ignazio nickte. »Ja. Die Wahrheit wurde so sehr geschützt, dass sie in Vergessenheit geriet.«

    »Welche Spuren konnten Sie finden?«, fragte der Papst ernst.
    Ignazio deutete auf den Bildschirm mit den Namen. »Hieronymus spricht in seinem Brief von siebzehn Sapienti beziehungsweise ›Wissenden‹, aber er nennt nur fünf Namen: Eugenius, Tobias, Ephredet, Halairan und Galva. Nur eine Frau war unter ihnen, die Griechin Ephredet. Die Männer stammten aus Syrien und Persien. Zwei von ihnen waren Muslime. Ich glaube, es ist mir gelungen, die übrigen Sapienti zu identifizieren, Personen, die sich mehrmals mit den fünf Genannten trafen, und zwar in Jerusalem, bei dem im dritten Jahrhundert geöffneten Grab.«
    »Dann wissen wir bereits mehr als Hieronymus«, sagte der Papst anerkennend.
    »Das bezweifle ich, Heiliger Vater. Wahrscheinlich enthielt der ursprüngliche Brief, der Papst Innozenz III. noch im dreizehnten Jahrhundert zur Verfügung stand, zusätzliche Hinweise. Leider müssen wir ohne sie auskommen.« Ignazio zögerte. »Ich hätte gern gewusst, ob Hieronymus damals in seinem Schreiben an Innozenz I. von der Schar der Hundert sprach.«
    »Davon höre ich zum ersten Mal«, sagte der Papst neugierig.
    »Ich habe mehrere Hinweise darauf gefunden, und sie stehen mit dem Mythos von Gilgamesch in Zusammenhang, der, wie es in der Legende heißt, zu zwei Dritteln Gott und einem Drittel Mensch war. Es heißt, Gilgamesch begab sich auf eine Reise ins Jenseits beziehungsweise in die Unterwelt, um dort das Geheimnis der Lebenspflanze zu finden. Nach zahlreichen Abenteuern, von denen später in ähnlicher Form auch die griechische Mythologie erzählt, findet er die Pflanze, doch eine
Schlange entwendet sie ihm. Die Schlange als Symbol des Bösen dürfte uns vertraut sein … Nun, Gilgamesch kehrte mit leeren Händen nach Uruk zurück, aber nicht mit leerem Kopf. Das Gilgamesch-Epos in der jungbabylonischen Schriftsprache endet an dieser Stelle, doch aus Andeutungen in anderen Geschichten und Überlieferungen geht hervor, dass Gilgamesch noch einmal aufbrach, begleitet von der › Schar der Hundert ‹ , angeblich mit der Absicht, die Pforte zur Unterwelt zu schließen.«
    »Zu zwei Dritteln Gott«, wiederholte der Papst nachdenklich. »Ich kenne den Mythos von Gilgamesch, aber ich hätte nicht gedacht, dass er …« Der Papst sprach den Satz nicht zu Ende.
    »Ja, so hieß es damals, zu zwei Dritteln Gott.« Ignazio ließ die Liste mit den Namen über den Bildschirm scrollen. Hinter jedem Einzelnen von ihnen verbargen sich ein Leben und eine Geschichte, nicht minder interessant und abenteuerlich als die des legendären Königs von Uruk. »Wir wissen, was damit gemeint ist.«
    »Glauben Sie, dass es dort begann, vor vier oder fünf Jahrtausenden in Uruk, bei den Sumerern?«
    »Zumindest stammen die ersten Spuren von dort«, sagte Ignazio. Er wusste nicht, wie viele Stunden er vor den Bildschirmen damit verbracht hatte, von zahlreichen Archäologen gesammelte Daten auszuwerten und sie mit dem Inhalt alter Schriften zu vergleichen. Doch seine Gedanken blieben klar, unbelastet von Müdigkeit. »Vermutlich reicht der Ursprung der Sapienti - die damals eher Krieger waren als Bewahrer des Wissens - noch weiter in die Vergangenheit zurück, aber das spielt für unsere Zwecke keine

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