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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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auf kleinen Pulten und Lesetischen. Eine nackte Glühbirne hing an der Decke, aber ihr Licht reichte nicht bis in die Ecken, wo es selbst am Tag dunkel blieb. An manchen Stellen zwischen den Büchern bemerkte Sebastian Gegenstände: kleine Figuren aus Obsidian, Jade und Elfenbein. Ihre Körper waren menschlich, doch sie trugen die Köpfe von Ungeheuern.
    Die Gänge zwischen den Büchergestellen waren so schmal, dass sie nur einer Person Platz boten. Sebastian blieb ein wenig hinter Anatoli und Anna zurück, und sie schienen vor ihm zu Schemen in der Düsternis zu werden. Langsam ging er an den Regalreihen entlang und las dabei die Titel einiger Bücher: Lehren der Metaphysik, Atlantis und die Legende der Verlorenen, Licht und Dunkelheit, Der Garten Eden oder: Das Verlorene Paradies, Die Kraft des Glaubens … Er blieb stehen, zog ein dickes Buch aus dem nächsten Regal und blies den Staub fort, bevor er es öffnete und blätterte. »Hier werden alchimistische Rituale beschrieben«, sagte er nach einigen Sekunden und fügte dann voller Abscheu hinzu: »Esoterik. Dies alles, oder ein großer Teil davon, ist pseudowissenschaftlicher Unfug!«
    Sebastian hob den Blick vom Buch und sah Anatoli an, der einige Meter vor ihm stand. Er war voller Hoffnung gewesen, als der alte Russe davon gesprochen hatte, dass er ihm etwas zeigen wollte, doch jetzt wurde er von Enttäuschung und Verzweiflung schier überwältigt.
    »Glauben Sie, Herr Vogler?«, erwiderte Anatoli. Er hielt
eine vergilbte Pergamentrolle in der einen Hand und in der anderen einen Gegenstand, von dem ein goldener Glanz ausging, bevor er ihn in die Hosentasche steckte. Anatoli ging zu einem Schreibtisch in der Ecke, schaltete dort eine Lampe ein und rollte das Pergament aus.
    »Es ist nicht viel davon übrig geblieben«, sagte er kummervoll.
    Sebastian und Anna traten zu ihm.
    Viele der Schriftzeichen auf dem alten Pergament waren im Lauf der Zeit so sehr verblasst, dass nur noch vage Flecken an sie erinnerten. An einigen Stellen hatte jemand die Konturen nachgezeichnet, und Sebastian glaubte, kyrillische Zeichen zu erkennen. »Ist das Russisch?«, fragte er.
    »Zum Teil.« Anatoli rollte das Pergament noch etwas weiter aus. »Das hier ist Griechisch und hier Hebräisch. Ganz zu Anfang gibt es einen Abschnitt mit Zeichen aus dem Jungbabylonischen. Offenbar wurden sie von einem meiner Vorgänger kopiert.«
    »Aus dem Jungbabylonischen?«, wiederholte Anna und fügte hinzu: »Gilgamesch?«
    »So wurde es mir erzählt.« Fast ehrfürchtig strich Anatoli über das Pergament, und ein dünner Zeigefinger folgte den Konturen der Zeichen.
    Sebastian wartete, aber seine Geduld ging schnell zur Neige. »Wovon redet ihr da?«, fragte er, und die Schärfe kehrte in seine Stimme zurück. »Ich verstehe kein Wort! Warum diese verdammte Geheimniskrämerei? Hört endlich auf mit diesem esoterischen Bockmist und sagt mir, was los ist!«
    Anatoli musterte ihn nachdenklich. »Sie sind ein Mensch ohne Vertrauen zu Ihm. Im Gegensatz zu Ihrer Frau. Auch darüber
haben wir in der vergangenen Nacht gesprochen. Anna hat sich nie von Gott abgewandt.«
    Sebastian starrte sie beide groß an. »Esoterik? Religion? Darum geht es hier? Lieber Himmel, und ich habe tatsächlich zu hoffen gewagt, Sie könnten mir helfen. Das alles ist Zeitverschwendung!« Er drehte sich um und stapfte durch einen der schmalen Gänge zwischen den Bücherregalen.
    »Wo wollen Sie hin?«, rief Anatoli ihm nach.
    »Weg von hier«, erwiderte Sebastian. »Weg von diesem Unfug.«
    »Wollen Sie das?«, fragte Anatoli. »Oder ist es der Wunsch der Stimme in Ihnen?«
    Sebastian machte noch einen Schritt und blieb dann stehen. Hör nicht auf ihn, flüsterte es. Du hast recht. Dies ist alles Unsinn. Geh. Verlass das Haus.
    Er drehte sich langsam um. Anna war ihm gefolgt, ergriff seine Hand und zog ihn mit sanftem Nachdruck zum Schreibtisch zurück.
    »Ich habe Sie gewarnt.« Der alte Russe richtete den Zeigefinger auf ihn. »Seien Sie auf der Hut. Lassen Sie die fremde Stimme nicht zu Ihrer eigenen werden. Wenn das geschieht, endet die Existenz des Sebastian Vogler, der Sie jetzt sind.«
    »Hab Vertrauen, Bastian«, sagte Anna. »Er meint es gut, glaub mir. Hör dir an, was er zu sagen hat.« Sie deutete auf das Pergament. »Dies ist das Dokument, von dem Sie mir gestern Nacht erzählt haben, nicht wahr? Das Sie von Juri bekommen haben?«
    Anatoli nickte. »Vor neunundfünfzig Jahren. In Moskau. Der Zweite Weltkrieg war seit

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