Äon - Roman
glauben Sie wirklich, dass wir die Daten nicht gesichert haben?«
Sie hatten sich vorbereitet und trugen Waffen, aber der Mann im dunkelblauen Doppelreiher bewegte sich so schnell, dass er zu einem Schemen wurde - und plötzlich hielt er eine Pistole in der Hand. Sein Gesicht zeigte noch immer eine
Neugier, die Singerer seltsam erschien, als er die Pistole hob und schoss.
Die Kugel traf Rolf in der Stirn, und sein Kopf ruckte nach hinten. Singerer warf sich an dem zu Boden stürzenden Toten vorbei zur Seite, und aus dem Augenwinkel sah er, wie Irene ebenfalls sprang, dabei ihre Waffe zog und abdrückte. Ein zweiter Knall folgte dem ersten, nur eine Sekunde später, doch Lechleitner stand nicht mehr hinter dem Schreibtisch, sondern am drei Meter entfernten Fenster. In einer Sekunde konnte er unmöglich so weit gekommen sein. Es sei denn …
Der dicke Teppich dämpfte Singerers Aufprall neben dem Schreibtisch, und noch während er die eigene Waffe hochriss, begriff er seinen Fehler.
»Er ist einer von ihnen, Irene!«, rief er, rollte sich am Schreibtisch vorbei, sah einen huschenden Schemen und schoss.
Es knallte nicht nur einmal, sondern mehrmals, und Irene schrie. Es schepperte und klirrte, als eine große Vase zerbrach, und ein dumpfer Schlag wies darauf hin, dass jemand zu Boden gefallen war.
Singerer sprang auf, lief geduckt in Richtung Tür und hielt dabei nach Lechleitner Ausschau. Irene lag mit dem Gesicht nach unten beim Sockel, auf dem die Vase gestanden hatte, und neben ihrem Kopf breitete sich eine Blutlache aus.
Wo steckt der verdammte Kerl?, dachte Singerer, während er noch zur Tür lief.
»Ich bin hier«, sagte Lechleitner.
Er stand plötzlich vor ihm und hielt die Pistole auf ihn gerichtet. Singerer blickte direkt in den Lauf und wusste, dass er
nicht schnell genug handeln konnte, um sein Leben zu retten. Die eigene Waffe in der rechten Hand war wertlos.
Singerer sah, wie sich der Finger um den Abzug krümmte, seltsam langsam, und die Lippen deuteten ein Lächeln an, das fast freundlich wirkte.
Irgendwo im Gebäude heulte eine Sirene.
Der Finger krümmte sich noch etwas mehr, und es klickte.
Ein leeres Klicken, kein tödlicher Knall.
Singerer wollte die eigene Waffe heben, aber etwas hielt den Arm fest. Die Augen des vor ihm stehenden Mannes schienen größer zu werden, ihr Blick intensiver, und etwas berührte ihn, nicht den Körper, sondern den Geist. Roland Singerer hatte plötzlich das seltsame Gefühl, in seinem Kopf nicht mehr allein zu sein. Etwas kramte in seinen Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen, wie eine Hand, die in den Schubladen eines Schreibtischs wühlte.
Hinter Lechleitner sprang die Tür auf, und zwei Uniformierte erschienen, die Waffen schussbereit. Singerer versuchte, ihnen eine Warnung zuzurufen, aber das, was seinen Arm festhielt, hinderte ihn auch am Sprechen.
Die beiden Beamten zielten mit ihren Pistolen, zögerten aber und fürchteten offenbar, Singerer zu treffen, wenn sie schossen.
»Lassen Sie die Waffe fallen!«, rief einer von ihnen.
Singerer beobachtete, wie Lechleitners dünnes Lächeln verschwand und einem sonderbaren Ernst wich. Mit einem Ruck drehte sich der Mann um, und für einen langen Moment schien die Welt in Reglosigkeit zu erstarren. Als sie wieder in Bewegung geriet, befand sich Lechleitner hinter den beiden Polizisten und stürmte gazellenschnell durch den Flur.
Singerers Gaumen war knochentrocken, und er hatte einen staubigen Geruch in der Nase, wie von einer Wüste, als er losrannte, an den beiden verblüfften Polizisten vorbei, die Waffe hob und abdrückte. Der erste Schuss ging daneben, aber der zweite traf Lechleitner, als er die Treppe beim Lift erreichte. Die Kugel bohrte sich ihm in den Rücken, und für einen gewöhnlichen Menschen wäre die Flucht - und vielleicht auch das Leben - damit beendet gewesen. Doch Lechleitner wurde nicht einmal langsamer und raste die Treppe hinab, flink wie ein Wiesel und ebenso agil. Singerer folgte ihm, obwohl er wusste, dass er nicht annähernd so schnell war, und er hoffte inständig, dass die internen Sicherheitsmaßnahmen im Polizeipräsidium ausreichten, um den Mann aufzuhalten.
Singerer hatte den Direktor für jemanden gehalten, der aus irgendeinem Grund ein doppeltes Spiel trieb, vertrauliche Informationen an die Presse weitergab und sich sogar dafür bezahlen ließ. Jetzt wusste er, dass wesentlich mehr dahintersteckte: Lechleitner gehörte zu den Schlüsselpersonen.
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