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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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standen offen, ließen den Sonnenschein und die warme Luft des Spätsommertags herein.
    »Sie sind blass, Ignazio«, sagte der Papst, setzte sich hinter den Schreibtisch und deutete auf den Stuhl davor. »Und Sie haben Ringe unter den Augen. Sie hatten mir versprochen, einige Stunden zu schlafen.«
    »Bitte verzeihen Sie, Heiliger Vater.« Ignazio Giorgesi reichte die Computerausdrucke über den Schreibtisch. »Ich glaube, es hat sich gelohnt, dass ich wach geblieben bin und weitergearbeitet habe.«
    Der Papst nahm die Ausdrucke entgegen, blätterte in ihnen und las einige Stellen. Schließlich schaute er hoch.
    »Nur zwei?«, fragte er.
    »Wir können von Glück sagen, dass es überhaupt noch welche
gibt«, sagte Ignazio. »Das zwanzigste Jahrhundert erwies sich in dieser Hinsicht als besonders fatal, Heiliger Vater. Es brachte mehr Sapienti um als die Jahrhunderte davor.«
    »Stecken die Sechs dahinter?«
    »Es lässt sich nicht ganz ausschließen, aber ich bezweifle es. Die Bewahrer des Wissens fielen Unfällen, Krankheiten oder Unruhen in Krisengebieten zum Opfer; daran hat es in den vergangenen Jahrzehnten nicht gemangelt.«
    »Nur zwei …«, wiederholte der Papst und blätterte erneut. »Einer in …«
    »Lettland, Heiliger Vater. Und der andere in Ungarn.«
    Der Papst nickte und hob den Blick von den Unterlagen. »Was schlagen Sie vor?«
    »Wir müssen sofort jemanden losschicken«, antwortete Ignazio. Diese Worte erleichterten ihn merkwürdigerweise, und den Grund dafür begriff er erst nach einigen Sekunden: Sie bedeuteten, dass die Verantwortung von ihm auf jemand anderen überging. Er hatte die Entdeckung gemacht und seine Informationen weitergegeben; damit war seine Aufgabe erfüllt. »Wobei Riga noch wichtiger ist als Budapest.«
    »Warum?«
    »Ich habe mich in diesem Zusammenhang auch mit den neuesten Informationen von Polizei und Nachrichtendiensten beschäftigt, Heiliger Vater. Gestern Abend kam es in einem Hotel in Riga zu einer Schießerei, und daran beteiligt war ein gewisser Simon Krystek, der vermutlich zu den Hauptträgern zählt, beziehungsweise zu den Schlüsselpersonen, wie man sie in Deutschland nennt. Zugegen waren auch ein deutscher Journalist namens Sebastian Vogler und seine Frau Anna Maria Ranzani. Krystek konnte nicht verhaftet werden, im Gegensatz
zu den anderen beiden; doch einige Stunden später entkamen auch sie. Seitdem fehlt jede Spur von ihnen.«
    »Ich verstehe«, sagte der Papst langsam. Er sah seinen Berater an. »Schlafen Sie einige Stunden. Ich lasse unterdessen alles vorbereiten. Heute Nachmittag brechen Sie auf.«
    »Wie bitte?«
    Der Papst stand auf, und Ignazio war so überrascht, dass er sich erst zwei oder drei Sekunden später erhob.
    »Sie sind mit dieser Angelegenheit vertraut«, sagte der Papst. »Sie haben alle Informationen. Fliegen Sie nach Riga und sprechen Sie mit diesem … Wie heißt er?« Er griff nach den Unterlagen.
    »Anatoli Pawel Pawlowitsch.«
    »Ja. Hoffen wir, dass er uns helfen kann.«

35
    Jugla, bei Riga
    A nna und der alte Russe namens Anatoli gingen vor Sebastian durch den Flur, und für einige Sekunden sah er, dass glühende Linien die beiden verbanden, wie das auch bei den Menschen auf den Bürgersteigen während der Fahrt zum Hotel der Fall gewesen war. Sie bewegten sich wie dünne Schlangen, glitten zwischen seiner Frau und dem Greis hin und her. Sie haben sich gegen dich verbündet, flüsterte es in ihm. Sieh nur, wie nahe sie sich in nur wenigen Stunden gekommen sind. Worüber haben sie in der vergangenen Nacht gesprochen, während du im Bett gelegen bist? Und welche Pläne schmieden sie jetzt gegen dich?
    Sebastian hob die Hände zu den Schläfen und versuchte, die Stimme aus sich zu vertreiben. Doch sie blieb in ihm, flüsterte von Verrat und Verschlagenheit. Er erinnerte sich an die Ruhe, die ihm Anatolis besänftigende Worte und seine massierenden Finger geschenkt hatten, und darauf besann er sich, auf das Gefühl, Schmerz und emotionalem Chaos entronnen zu sein. Die glühenden Linien zwischen Anna und Anatoli verschwanden, und er folgte ihnen durch den Flur, vorbei an kleinen, schmutzigen Fenstern, durch die das graue Licht eines trüben Tages fiel. Schließlich betraten sie ein anderes Zimmer, das überraschend
groß und mit Büchern gefüllt war - viele von ihnen schienen noch älter zu sein als das Bauernhaus. Sie standen in alten Regalen, verstaubt und mit rissigen Rücken, ruhten auf Ablagen und Vitrinen, lagen aufgeschlagen

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