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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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selbst.
    »Gas«, sagte er. »Wir sollten die Kellergeschosse mit Betäubungsgas fluten.« Oder besser noch mit Giftgas, dachte er.
    »Ich ziehe diese Möglichkeit in Betracht«, erwiderte Tanner.
    Der Einsatzleiter sah ihn kurz an - er hatte die Frage gehört, nicht aber die Antwort. Singerer zuckte mit den Schultern und deutete in den dunklen Bereich. Harbach nickte kurz und gab Anweisungen, woraufhin zwei Männer mit Taschenlampen leuchteten und vorausgingen.
    Kurz darauf erreichten sie einen Beobachtungsraum, doch die Panzerglasscheibe, die ihn vom anderen Zimmer getrennt hatte, wies ein großes Loch auf, an dessen gezackten Rändern Blut klebte. Davor lagen die Reste eines jungen Mannes: Das Gesicht war seltsam unversehrt und ragte aus einem deformierten, an mehreren Stellen wie aufgedunsenen Körper. Blut
war aus Dutzenden von Schnittwunden geströmt und bildete eine dicke, wie glasiert wirkende Schicht auf dem Boden, mit einer Patina aus dunklem Schaum.
    »Ich sehe ihn«, sagte Tanner überflüssigerweise. »Tot, nicht wahr?«
    »Ich bezweifle, dass so etwas leben kann«, murmelte Singerer und blieb neben der Leiche stehen, als Harbach und seine Leute den Weg fortsetzten - das Licht ihrer Taschenlampen tastete über Boden und Wände. »Er hat die Scheibe durchdrungen. Panzerglas .«
    »Und es hat eine physische Veränderung eingesetzt.« Tanners Stimme klang nachdenklich. »Wir haben vor zwei Stunden entsprechende Meldungen aus den Staaten erhalten. Zwei Fälle in Florida, die unter Beobachtung standen. Waren vor drei Monaten in Kalabrien. Die Ärzte hatten zuvor Karzinome mit stark beschleunigtem Wachstum diagnostiziert.«
    Singerer betrachtete das Gesicht, das aus der blutigen, aufgequollenen Fleischmasse ragte. Was hatte dieser Mann, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnerte, in den letzten Minuten seines Lebens gedacht und empfunden?, fragte er sich und staunte über die eigenen Gedanken. »Eine neue Entwicklung?«
    »Die nicht unbedingt alle Kontaminierten betreffen muss«, sagte Tanner. »Deshalb sind diese Leute so wichtig für uns. Wir müssen sie weiter untersuchen und beobachten.«
    Schüsse kamen plötzlich aus der Dunkelheit, in der hier und dort das Licht von Taschenlampen tanzte. Singerer wandte sich von dem Toten ab, eilte an der Panzerglasscheibe mit dem Loch entlang und durch den Flur, der in einen der Untersuchungsbereiche führte. Er holte seine eigene Lampe hervor, hielt sie in der linken Hand - die Waffe blieb in der rechten. In
dem Lichtkegel konnte er umgestürzte Tische, mehrere PCs und medizinische Instrumente auf dem Boden erkennen. Überall lagen Glas- und Kunststoffsplitter, die bei jedem Schritt unter den Stiefelsohlen knirschten. Als Singerer das Ende des Flurs erreichte, sah er im Schein der Lampe zwei Leichen in Laborkitteln, einen Mann und eine Frau. Sie lagen halb unter einem großen Tisch, der Mann mit zertrümmertem Schädel und die Frau mit zerfetztem Hals. Singerer ging geduckt an ihnen vorbei, die Pistole in der rechten Hand bereit, aufs Äußerste angespannt. Links ragten mehrere große Schränke mit gläsernen Fronten auf, und in ihren Fächern sah er Untersuchungsgeräte und Behälter, die verschiedene Flüssigkeiten enthielten. Etwa zwanzig Meter weiter vorn hatten Harbachs Männer einen Kontaminierten überwältigt, eine dickliche Frau, der sie gerade, wie zuvor Sennstett, Plastikfesseln anlegten. Die Schusswunden der Frau schlossen sich bereits - Singerer fragte sich kurz, was mit den Kugeln im Körper passierte -, und sie begann zu zappeln.
    Als sich Singerer der Gruppe näherte, fragte Tanner: »Höre ich da ein Zischen?«
    Singerer blieb stehen und horchte. Tatsächlich: Etwas zischte, aber das leise Geräusch verlor sich nur wenige Sekunden später im Geschrei der Frau, die sich zu befreien versuchte.
    »Gas?«, fragte er leise. »Ist vor mir jemand auf diese Idee gekommen?«
    Es war eine rhetorische Frage, und Tanner schien das zu erkennen, denn er schwieg. Singerer fragte sich noch, ob es hier unten im Keller der Klinik Gastanks oder Gasflaschen gab, die vielleicht beschädigt worden waren, als es neben ihm knirschte. Aus einem Reflex heraus lenkte er das Licht der Taschenlampe
dorthin und sah, wie die Schränke kippten. Er warf sich zur Seite, aber seine Reaktion kam zu spät. Zwei der großen, hohen Schränke rissen ihn von den Beinen, und er spürte, wie er an Kopf und Körper getroffen wurde, mit solcher Wucht, dass er kaum mehr atmen konnte und in dem

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