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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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kleine, kompakte Waffe und richtete sie auf den Mann vor Harbach.
    Ein Knall zerriss die Stille.
    Die Kugel traf den Mann zwischen der schusssicheren Kev - larweste und dem Helm, durchdrang die flexible Schicht des Schutzanzugs unter dem Kinn und zertrümmerte den Kehlkopf.
Er gab ein gurgelndes Geräusch von sich, sank zu Boden und betätigte dabei aus einem Reflex heraus den Auslöser seiner Waffe. Es ratterte kurz, und mehrere Geschosse schlugen in die gegenüberliegende Wand. Singerer zog den Kopf ein, warf sich zur Seite und entging dadurch dem nächsten Schuss des Kontaminierten. Die Kugel, die ihm gegolten hatte, bohrte sich hinter ihm in einen PC.
    »Kontakt!«, rief der Einsatzleiter und duckte sich hinter einen umgestürzten Tisch. »Kontakt!«
    Harbach war angewiesen worden, Rücksicht zu nehmen, wenn es die Umstände erlaubten, und vielleicht neigte er ohnehin nicht dazu, erst zu schießen und dann Fragen zu stellen. Aber Singerer wollte nichts riskieren, zielte auf den aus dem Löschschaum aufgetauchten Mann und drückte ab. Er sah den Treffer ganz deutlich: Blut spritzte aus einem Loch in der Brust des Kontaminierten, der inzwischen aufgesprungen war, und die Wucht des Geschosses ließ ihn zurücktaumeln. Doch die Wunde schloss sich fast sofort wieder, das Gesicht des Mannes verwandelte sich in eine Fratze, und heulend stürmte er heran. Obwohl er eigentlich gar nicht in der Lage sein sollte, irgendetwas zu sehen, sprang er über den toten Beamten hinweg und wich dem Tisch aus, hinter dem Harbach hockte.
    Diesmal zielte Singerer auf den Kopf und betätigte den Abzug dreimal schnell hintereinander. Die Kugeln verwandelten das Gesicht in eine blutige Masse, und diesmal ging der Kontaminierte zu Boden, blieb auf dem Bauch liegen; unter dem Kopf bildete sich eine kleine Blutlache.
    Singerer starrte auf ihn hinab.
    »Ähnliche Dinge sind uns aus den anderen Krisenzentren berichtet worden«, sagte Tanner, der viele Kilometer entfernt
in einem sicheren Büro saß. »Im kritischen Stadium entwickeln die Betroffenen die Fähigkeit beschleunigter Selbstheilung.«
    »Die Hölle will sie nicht«, murmelte Singerer. Die anderen Männer der Einsatzgruppe hatten die Treppe hinter sich gebracht und eilten herein. Er achtete nicht auf sie. Sein Blick galt noch immer dem Mann, der vor ihm auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte. Arnim Sennstett aus Pinneberg, sechsundsechzig Jahre, ehemaliger Makler, seit drei Jahren im Ruhestand, erinnerte er sich. Im kalabrischen Drisiano von chronischem Rheumatismus geheilt. Und jetzt lag er hier in seinem eigenen Blut.
    Doch der Mann auf dem Boden blieb nicht reglos. Die rechte Hand mit der Waffe erzitterte kurz, und ein leises Stöhnen kam von ihm. Dann versuchte er, sich auf die Seite zu drehen.
    Singerer wich einen Schritt zurück und richtete seine Pistole auf Sennstetts Kopf.
    »Nein«, sagte Harbach. Er kam hinter dem umgestürzten Tisch hervor und trat näher. Singerer sah, wie er hinter dem Helmvisier den Kopf schüttelte.
    »Er hat einen Ihrer Leute erschossen.«
    Harbach antwortete nicht und gab den anderen Männern ein Zeichen. Zwei von ihnen bückten sich, nahmen Sennstett die Waffe ab und fesselten seine Hände mit einem Plastikband, das nicht einmal jemand mit übermenschlichen Kräften zerreißen konnte.
    »Jetzt stellt er keine Gefahr mehr dar«, sagte Harbach. Er sah Singerer an und fügte hinzu: »Ich habe meine Anweisungen.«
    Ein Mann blieb bei Sennstett zurück; die anderen rückten weiter vor, in den Raum mit den Schutzanzügen und die eigentliche Quarantänestation.

    »Drei Schüsse in den Kopf«, ertönte Tanners Stimme. »Und er hat sie ebenso überlebt wie zuvor den Treffer in der Brust. Erstaunlich, gelinde gesagt.«
    Die Schränke mit der Schutzkleidung waren geöffnet, und die Anzüge, einige von ihnen halb zerrissen, lagen auf dem Boden verstreut. Die Türen der Schleuse standen offen, und dahinter, im Sicherheitsbereich, brannte kein Licht. Was auch immer sich dort befand, es blieb in der Dunkelheit verborgen.
    Unbehagen regte sich in Singerer. Es war eine Sache, irgendwo in einem Büro zu sitzen, wie er zuvor im umgerüsteten Konferenzsaal des Polizeipräsidiums und Tanner in Hannover, die Ereignisse auf Computerschirmen zu verfolgen und dabei taktische Überlegungen anzustellen. Ganz anders sah es aus, vor Ort zu sein, mittendrin im Schlamassel. Es verschob die eigenen Prioritäten, erkannte Singerer, man dachte plötzlich mehr an sich

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