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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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vibrierte, sondern auch in den anderen. Noch ein Schritt, gefolgt von einem zweiten, einem dritten und auch einem vierten. Mit den Säulen im Rücken blieb er stehen und fürchtete sich plötzlich davor, sich umzudrehen und zu sehen, was sich zwischen ihnen befand.
    »Hab keine Angst«, sagte Yvonne. »Für dich gibt es nichts zu fürchten.«
    Langsam drehte Raffaele den Kopf, und der Rest des Körpers folgte der Bewegung.
    Zwischen den beiden Säulen erstreckte sich eine Landschaft, in der lehmbraune und rostrote Töne dominierten und die wie ein Spiegelbild auf ruhigem Wasser wirkte. Manchmal kräuselte sich hier und dort etwas, als striche sanfter Wind über die ansonsten unbewegte Wasseroberfläche. Die Membran, dachte Raffaele.
    Er trat näher und blieb so dicht vor der Membran stehen, dass er sie mit ausgestreckter Hand berühren konnte. Sie fühlte sich kalt an, und hart, härter als alles, das er jemals berührt hatte. Als er den Zeigefinger darauf bewegte, bildeten sich kleine Kräuselungen, und aus ihnen wurde etwas, das wie eine Staubwolke in der weiten Ebene aussah. Sie wuchs weiter, auch als Raffaele die Hand sinken ließ, und dann kamen erste Gestalten aus ihr, braun wie der Sand und schwarz wie die Nacht, Wesen wie Kreuzungen zwischen Mensch und Tier, und andere, die überhaupt nichts Menschliches hatten und mit mehrgelenkigen Beinen umhersprangen, schneller als Gazellen, Klauen schwangen und wie Raubkatzen fauchten. Ein dumpfes Donnern ertönte, wie von hunderttausend heranstürmenden
Dinosauriern, und in der Staubwolke zeichneten sich die Silhouetten weiterer Kreaturen ab, keine der anderen gleich. Sie alle drängten nach vorn, Tausende von ihnen, eine unüberschaubare Menge, die bis zu den Bergen in der Ferne zu reichen schien, und plötzlich verharrten sie. Von einem Moment zum anderen blieben sie stehen, völlig reglos, und dann, wie ein Geschöpf, verbeugten sie sich.
    Sie verneigten sich vor Raffaele.

49
    Frankreich
    I gnazio Giorgesi las Worte, die er schon tausendmal und öfter gelesen hatte, auf der Suche nach etwas, an dem sich seine zitternde, entsetzte Seele festhalten konnte. Aber er fand kaum Trost, starrte manchmal nur auf den Text und erinnerte sich an das Gespräch mit dem Papst - dann wurde die Bibel so schwer, dass er sie auf die Knie legen musste. Er verzichtete ganz bewusst darauf, die Kopfhörer zu benutzen - der Lärm des Hubschraubers schenkte ihm paradoxerweise Ruhe, denn er hielt die Stimmen von ihm fern, die von immer neuen Katastrophen berichteten. Dann und wann schaute er aus dem Fenster in die beginnende Nacht. Sie hatten vor kurzer Zeit die Grenze von Luxemburg überflogen, und selbst abseits der großen Städte zeigte sich das gleiche Bild: Dichter Verkehr bildete lange Lichterketten auf den wichtigsten Straßen. Die Menschen versuchten, dem Chaos um sie herum zu entkommen. Sie verließen die Städte und flohen aufs Land, zu Freunden und Verwandten, in der Hoffnung, dort sicherer zu sein. Ignazio wusste es besser. Ganz gleich, wohin ihre Flucht sie führte, ganz gleich, wo und bei wem sie Unterschlupf fanden: Es gab keine Sicherheit für sie. Wenn es den Sechs gelang, eine Verbindung zu ihrer Welt zu schaffen, waren sie alle verloren, alle Menschen auf der Erde.

    Das Ende der Welt, dachte Ignazio und erinnerte sich an die Worte der Apokalypse.
    Als er sich wieder auf die Bibel konzentrieren wollte, berührte ihn eine Hand am Knie. Der ihm gegenübersitzende Ernst Tanner hatte sich vorgebeugt, hob die Hand und deutete auf seine Kopfhörer. Ignazio verstand, setzte die eigenen auf und klappte das Mikrofon vor den Mund.
    Er hörte mehrere Stimmen, und eine von ihnen, lauter als die anderen, gehörte Tanner.
    »Sebastian Vogler, Anna Ranzani und Simon Krystek sind lokalisiert worden«, sagte er. »An einer Mautstation im Osten von Frankreich. Sie sind mit dem Auto unterwegs, nach Westen. Die automatischen Kameras haben sie erfasst, und unsere biometrische Software hat sie identifiziert.«
    »Man sollte besser nicht versuchen, sie zu verhaften«, sagte Ignazio ins Mikrofon. »Sie können uns den Weg weisen …«
    Tanner hob die Hand, als eine neue Stimme erklang und die anderen in den Hintergrund drängte.
    »Phönix Sieben an Phönix Eins. Wir haben einen weiteren Kontakt. Ich wiederhole: Wir haben einen weiteren Kontakt. Der Junge und Yvonne Jacek sind identifiziert. Wiederhole: positive Identifizierung.«
    »Wo?«, fragte Tanner und gab dem Kopiloten ein

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