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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Priesters gesehen hatte, halb verborgen hinter dem Stolz.
    Sebastian dachte noch immer darüber nach, als er eine knappe Stunde später im Mietwagen saß und zu seinem Hotel zurückfuhr, um dort den ersten Teil des Artikels für Zack! zu schreiben. Wenn Don Vincenzo wirklich voller Zufriedenheit darüber war, den richtigen Weg für sich gefunden zu haben, warum litt er dann?

9
    Bohrinsel »Ocean Queen«, östlich der Shetlandinseln
    D ie Tür öffnete sich, und der Wind peitschte Regen herein. Dem in gelbes und rotes Ölzeug gekleideten Mann fiel es schwer, die Tür wieder zu schließen. »Himmel, ist das ein Scheißwe…« Er unterbrach sich, als er die Signalpistole in Hendriks Hand sah. »Kriegst du es mit der Angst zu tun, Kumpel? Das dort draußen ist nur ein laues Lüftchen. Warte, bis der richtige Sturm heran ist …«
    Hendrik Larson blickte auf die Pistole in seiner Hand und dann auf den Mann, der gerade hereingekommen war. Er hob die Pistole und drückte ab.
    Die Signalrakete fauchte auf das Gesicht des Mannes zu und bohrte sich in sein rechtes Auge, ließ ihm nicht einmal genug Zeit für einen letzten Schrei. Das Fauchen des Treibsatzes dauerte an, vermischte sich mit dem Heulen des Winds und dem Prasseln des Regens.
    Hendrik, der an diesem Tag einunddreißig wurde, war noch genug er selbst, um über das eigene Handeln entsetzt zu sein. Aber gleichzeitig wusste er, dass es keinen anderen Weg gab. Einsicht in die Notwendigkeit verdrängte das Grauen und verwandelte sich in Entschlossenheit. Die Welt, die ihm bisher vertraut gewesen war - die Freunde an Bord der
»Ocean Queen«, seine Frau in Lerwick -, spielte keine Rolle mehr.
    Er versuchte herauszufinden, was in ihm vorging, als er die Pistole wieder lud, durch die Luke im Boden kletterte und dem Verlauf eines klaustrophobisch engen Ganges folgte. Wirre Bilder zogen an seinem inneren Auge vorbei, gewannen manchmal eine solche Intensität, dass sie sich kaum mehr von der Realität unterscheiden ließen. Sie zeigten ihm seltsame, fratzenhafte Gesichter, wie aus den Erinnerungen einer anderen Person. Er hörte auch Geräusche, ein dumpfes Knistern und Knacken, wie von ganz langsam brechendem Glas.
    Stimmen kamen aus seinem Funkgerät, Stimmen, die jede Bedeutung verloren hatten. Hendrik verharrte kurz am Ende des Ganges, löste das Funkgerät vom Gürtel und warf es weg - er brauchte es nicht mehr. Dann öffnete er die Tür, erreichte eine Treppe und eilte die metallenen Stufen hinunter. Kurze Zeit später lief er durch einen breiteren Korridor mit zahlreichen großen und kleinen Rohrleitungen. Das Brummen der Pumpstationen übertönte hier das Heulen des draußen beginnenden Sturms. An einer der Kontrollstationen sah jemand auf die Anzeigen und drehte den Kopf, als er die hastigen Schritte hörte.
    »Hallo, Hendrik. Da braut sich hübsch was zusammen.« Er deutete auf die Signalpistole. »Bist auf alles vorbereitet, wie ich sehe.«
    Hendrik trat an den Mann heran, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnerte, und schlug mit der Pistole zu, nicht nur einmal, sondern mehrmals, bis sich der Mann nicht mehr regte und in einer Blutlache auf dem Boden lag. Er sah auf die Anzeigen, drehte Einstellräder, betätigte Schalter und drückte
Knöpfe. Warnendes Rot blinkte hier und dort, aber er achtete nicht darauf und lief weiter.
    Gelegentlich hielt er an den Rohren inne, öffnete hier Ventile und schloss dort andere. Er ging dabei nicht wahllos vor, sondern sorgte dafür, dass in bestimmten Leitungen der Druck stieg, während er in anderen unter das vorgesehene Minimum sank. Der neue Hendrik erinnerte sich nicht mehr an die Namen der Männer, die er getötet hatte - nicht einmal an seinen eigenen -, aber er wusste noch immer über die technischen Systeme der Bohrinsel Bescheid. Als einer ihrer Wartungstechniker kannte er ihre Schwachstellen.
    Er brachte eine weitere Treppe hinter sich, betrat einen der peripheren Kontrollräume, gab dort seinen Zugangscode ein und deaktivierte alle Sicherheitssysteme. Inzwischen heulten erste Sirenen, aber das kümmerte Hendrik nicht. Die anderen Besatzungsmitglieder der Bohrinsel waren damit beschäftigt, die »Ocean Queen« sturmsicher zu machen. Es würde einige Minuten dauern, bis sie hier eintreffen konnten, Zeit genug für ihn.
    Eine Etage weiter unten besorgte sich Hendrik ein Atemgerät aus der Ausrüstungskammer, setzte die Maske auf und machte sich dann daran, alle Gasventile zu öffnen, die er innerhalb von sechzig

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