Äon - Roman
intelligent.
Polizeidirektor Lechleitner saß am Kopfende des Tisches und wirkte wie ein Aufsichtsratsvorsitzender bei einer wichtigen Versammlung. Dazu passte auch die Ausstattung seines Büros. Ein dicker Teppich bedeckte den Boden, und die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt. Hier und dort hingen Bilder früherer Polizeidirektoren, wie die Ahnengalerie in einem Thronsaal. Lechleitner trug einen dunkelblauen Zweireiher und hatte etwas von einem Savoyen-Prinzen, fand Torensen.
Manchmal glaubte er, Ähnlichkeit mit dem nach Italien zurückgekehrten Viktor Emanuel zu erkennen.
»Ich möchte Ihnen Roland Singerer vorstellen, Alexander«, sagte Lechleitner ohne Einleitung. »Sie werden von jetzt an mit ihm zusammenarbeiten.«
Der Polizeidirektor war nie ein großer Diplomat im Umgang mit seinen Mitarbeitern gewesen.
Singerer nickte Torensen freundlich zu und sah dann Lechleitner an. »Ich glaube, einige erklärende Hinweise wären angebracht …«
»Wie Sie meinen«, sagte Lechleitner fast schroff, und Torensen fragte sich, ob der Direktor noch immer wegen der Fotos verärgert war. Dann begriff er plötzlich: Sein Ärger galt nicht ihm, sondern Roland Singerer. Dies war seine Domäne, und jetzt steckte der Geheimdienst die Nase hinein. »Herr Singerer kommt vom Bundesnachrichtendienst, und seine Ermittlungen betreffen die Fälle, die Sie derzeit untersuchen. Dies ist jetzt zu einer offiziellen Sache des Innenministeriums geworden. Offenbar glaubt man in Berlin, dass eine Art nationaler Notstand droht.«
Bei diesen Worten bewegten sich Singerers Mundwinkel, aber er lächelte nicht und verzichtete auf einen Kommentar.
»Sie werden ihn in jeder Hinsicht unterstützen, Alexander«, fuhr Lechleitner fort. »Für Ihre Arbeit steht Ihnen ab sofort das Konferenzzimmer Nummer Eins im obersten Stock zur Verfügung. Es wird entsprechend ausgestattet.« Er stand auf. »Irgendwelche Fragen?«
»Nein, Direktor.« Torensen erhob sich ebenfalls und verließ das Büro, gefolgt von dem BND-Mann.
»Ist er immer so?«, fragte Singerer, als sie durch den Flur
zum Konferenzzimmer gingen; dabei gestattete er sich ein Lächeln, das ihn für Torensen sympathisch machte.
»Manchmal«, erwiderte der Kommissar. »Wenn ihm was gegen den Strich geht.«
»Ich«, sagte Singerer.
»Vielleicht. Er ist hier der Big Boss, und er mag es gar nicht, wenn das durch irgendetwas infrage gestellt wird.«
»Und Sie?«, fragte Singerer.
Sie blieben vor der Tür des Konferenzzimmers stehen, und Torensen musterte den um ein gutes Jahrzehnt jüngeren Mann. »Es kommt darauf an.«
Roland Singerer nickte, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet. »Ich sehe mich nicht als Ihren Vorgesetzten, sondern als eine Art Partner. Ich kann uns für die Ermittlungen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen und möchte, dass wir als Gleichberechtigte zusammenarbeiten.« Er streckte die Hand aus. »Einverstanden?«
Torensen sah den sympathischen Eindruck bestätigt, den er bereits von dem BND-Mann gewonnen hatte. Er zögerte nicht, ergriff die dargebotene Hand und schüttelte sie. »Ja. Auf eine gute Zusammenarbeit.«
Im Konferenzzimmer waren mehrere Techniker damit beschäftigt, Kabel zu verlegen und Computer zu installieren. Der große runde Tisch lag in seine Einzelteile zerlegt auf der Seite und wartete auf den Abtransport. Zwei gemütlich wirkende Sitzecken und mehrere Schreibtische nahmen seinen Platz ein.
»Bis morgen früh ist hier alles bereit«, sagte Singerer und deutete in eine Ecke, wo mehrere Stühle standen. »Ich glaube, dort sind wir einigermaßen ungestört.«
Sie nahmen in der Ecke Platz, und Torensen beobachtete,
wie die Techniker ihre Arbeit fortsetzten. »Ich nehme an, die neue Sonderkommission besteht nicht nur aus uns beiden.«
»Nein. Einige Assistenten haben mich hierher begleitet. Aber seien Sie unbesorgt: Alle wichtigen Entscheidungen werden von uns beiden getroffen.« Singerer lächelte erneut, und es wirkte aufrichtig. »Sie haben den Heimvorteil. Ich kenne Hamburg nicht annähernd so gut wie Sie.«
Torensen lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und musterte den BND-Mann erneut. »Kommen wir zur Sache«, sagte er nach einigen Sekunden. »Wie schlimm ist es?«
»Sehr schlimm«, sagte Singerer ernst.
»Droht ein › nationaler Notstand ‹ , wie der Direktor meinte?«
»Es könnte sogar zu einem internationalen Notstand kommen.«
»Ich nehme an, Sie kennen meine bisherigen Ermittlungsergebnisse«, sagte
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