Äon - Roman
Torensen.
Singerer nickte. »Ja, und ich muss sagen, dass Sie gute Arbeit geleistet haben. Aber es gibt da noch einige Dinge, von denen Sie nichts wissen.«
Torensen wartete.
»Die Personen, die offenbar plötzlich den Verstand verlieren, zu Mördern werden und Katastrophen bewirken … Wir sprechen von › Kontaminierten ‹ . Sie haben das gemeinsame Element bereits gefunden, Alexander.« Torensen nahm zur Kenntnis, dass ihn der BND-Mann mit dem Vornamen ansprach. »Alle betroffenen Personen sind im Lauf des letzten Jahres in Kalabrien gewesen. Sie haben dort unter anderem einen kleinen Ort namens Drisiano besucht.«
»Drisiano«, wiederholte Torensen und wölbte die Brauen.
Singerer nickte erneut. »Ich weiß, dass ein Freund von Ihnen dort ist. Sebastian Vogler. Er könnte uns von Nutzen sein. Vielleicht ist er in der Lage, uns Namenslisten zu beschaffen. Sie sollten ihn später anrufen.«
»Namenslisten?«
»Viele der Kontaminierten haben in Drisiano den Gottesdienst besucht und sind bei dem Jungen gewesen. Ich nehme an, Sie haben von ihm gehört. Ein gewisser Raffaele. Neun Jahre alt. Ein Wunderheiler. Die katholische Kirche setzt große Hoffnungen in ihn.«
Torensen musterte den BND-Mann. »Und Sie glauben, der Junge hat etwas mit all diesen Fällen von … Wahnsinn zu tun?«
»Wir ermitteln, Alexander. Wir lassen nichts außer Acht und gehen allen Spuren nach. Manchmal finden wir dabei Dinge, die uns überraschen.« Singerer hob kurz die Arme und ließ sie dann wieder sinken. »Die Wahrheit muss uns nicht immer gefallen, sie kann manchmal sogar grotesk erscheinen.«
»Aber was könnte ein einzelner Junge …«
»Ziehen wir keine voreiligen Schlüsse. Wie gesagt, Namenslisten wären uns eine große Hilfe. Ich habe bereits unsere italienischen Kollegen um Hilfe gebeten, aber wenn dieser Sebastian Vogler vor Ort ist … Mit entsprechenden Listen könnten wir feststellen, wer bei dem Jungen gewesen ist. Wir gleichen sie mit unseren Listen der bekannten Kontaminierten ab und beobachten die anderen Personen, die sich zwar in Drisiano aufgehalten haben, bisher aber noch nicht auffällig geworden sind. Es könnte ein erster Schritt sein, das Phänomen einzudämmen.«
»Wenn ich Sie sprechen höre … Ich warte darauf, dass Sie
Begriffe wie › Krankheit ‹ und › Quarantäne ‹ verwenden. Der Junge mag ein Wunderheiler sein, aber so viele Leute können ihn wohl kaum besucht haben. Einige hundert vielleicht. Oder tausend? Wir reden hier von einem Jahr, nicht wahr? Die Anzahl der Besucher müsste sich doch in einem überschaubaren Rahmen halten.«
»Die Kontaminierten haben damit begonnen, andere Personen zu kontaminieren, die nicht in Drisiano gewesen sind«, sagte Singerer. »Und einige von ihnen scheinen es auf andere Kontaminierte abgesehen zu haben. Zum Beispiel ein gewisser Simon Krystek.«
»Oh, ich verstehe«, sagte Torensen, und er verstand in doppelter Hinsicht. Wenn die Kontaminierten, wie Singerer sie nannte, andere Menschen »anstecken« konnten, so war es möglich, dass die Zahl der Betroffenen sehr schnell wuchs. Und was Simon Krystek betraf, der in der S-Bahn einen gewissen Viktor Petronow umgebracht hatte … »Deshalb sind Sie hier, nicht wahr? Wegen Krystek.«
»Auch, ja. Simon Krystek ist eine von drei Schlüsselpersonen, die wir bisher identifizieren konnten.« Singerer holte seine Brieftasche hervor und entnahm ihr zwei Fotos. Das erste zeigte einen eher unscheinbaren Mann mit ergrauendem Haar, graugrünen Augen, einer leicht krummen Nase und einem schmallippigen Mund. Torensen schätzte ihn auf etwa fünfzig.
»Das ist Dario Deveny, als Kind italienischer Eltern in Frankreich aufgewachsen. Er hat inzwischen sieben Kontaminierte getötet und ist seit drei Tagen spurlos verschwunden. Er scheint sich ebenso in Luft aufgelöst zu haben wie Ihr Simon Krystek, der nach unserer Zählung auf einen Mord weniger
kommt. Die anderen hat er in Frankfurt, München und Basel begangen.«
Das zweite Foto zeigte eine auffallend attraktive Frau um die dreißig. Sie beeindruckte Torensen, und offenbar war ihm das anzusehen, denn Singerer lachte leise. »Ja, eine echte Schönheit, unsere Yvonne. Unglücklicherweise ist sie auch eine Meisterin der Tarnung, und dadurch konnte sie uns mehrmals entwischen. Yvonne Jacek, vor einunddreißig Jahren in Prag geboren. Arbeitete als Topmodel, bis sie vor einem Jahr an Multipler Sklerose erkrankte.«
Torensen betrachtete das Bild. »Sie sieht nicht krank
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