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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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dunkel geworden. Das Schlafzimmerfenster war halb geöffnet, und im Garten und am Hang dahinter hatten Zikaden mit ihrem abendlichen Konzert begonnen. Licht fiel durch die Tür zur Wohnküche, und Anna erschien dort. Als sie sah, dass er wach war, kam sie näher und setzte sich neben ihn aufs Bett.
    »Nikolaus«, wiederholte Sebastian.
    »Was?«
    »Ich habe geträumt«, sagte er. »Von einem Jungen in Köln, der Nikolaus hieß. Er … begegnete jemandem, der aussah wie Jesus. Der Mann - Christus - zeigte ihm die Male an Händen und Füßen, und er trug eine Dornenkrone. Er gab Nikolaus und einem anderen Jungen namens Stephan den Auftrag, Kinderkreuzzüge ins Heilige Land zu führen.«
    »Ich erinnere mich vage«, murmelte Anna nachdenklich. Sie hatte das Haar im Nacken zusammengebunden, trug Jeans und ein rotes T-Shirt, das gut zum dunklen Haar passte. »Wenn ich mich recht entsinne, hat es jenen Nikolaus wirklich gegeben …«
    »Von den Kinderkreuzzügen habe ich zum letzten Mal in der Schule gehört«, sagte Sebastian. »Warum sollte ich von ihnen träumen, und ausgerechnet jetzt?« Er schlug das Laken zurück und lief, nackt wie er war, in die Wohnküche zu seinem Notebook, das noch ans Stromnetz angeschlossen war. Er tippte aufs Touchpad und gab das Kennwort ein.
    Anna folgte ihm. »Was ist los?«
    »Nikolaus!«, stieß Sebastian hervor, als wäre das Erklärung genug. Dann fügte er hinzu: »Die Dateien, die Wolfgang mir gemailt hat … Es waren auch Bilder darunter, und eins …«

    Er öffnete die Datei mit den digitalen Fotos, und wenige Sekunden später erschien das gesuchte Bild auf dem Schirm: eine Zimmerdecke, mit Farbe beschmiert; krakelige rote und blaue Buchstaben bildeten das Wort »Nikolaus«.
    »Sieh dir das hier an«, sagte er. »Dieses Foto stammt aus dem Schlafzimmer eines gewissen Simon Krystek. Er ist ein › Kontaminierter ‹ , jemand, der in Drisiano bei Raffaele war …«
    »Ein Kontaminierter ?«, wiederholte Anna.
    »Und er zählt zu den › Schlüsselpersonen ‹ , zu den Leuten, die begonnen haben, andere Personen umzubringen, die in Drisiano gewesen sind. Bevor er aufbrach, um in der Hamburger U-Bahn einen gewissen Viktor Petronow umzubringen, besprühte er die Wände und Einrichtung seiner Wohnung mit Farbe und malte oder schrieb das hier an die Decke des Schlafzimmers. Nikolaus. Eben habe ich von einem Nikolaus geträumt.« Und ich bin ebenfalls bei Raffaele gewesen, dachte er.
    »Glaubst du, es gibt eine Verbindung?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht.« Sebastian starrte auf das Bild und sah vor dem inneren Auge den Jungen, wie er vor dem Mann mit den Wundmalen kniete.
    Das Telefon klingelte.
    Sebastian wandte den Blick nicht von dem Foto und hörte, wie Anna zum Apparat ging und abnahm.
    »Pronto.«
    Einige Sekunden verstrichen, und dann: »Ja, er ist hier.« Sie legte den Hörer neben das Telefon. »Es ist Wolfgang.«
    Sebastian wandte sich von seinem Notebook ab. »Ich wusste gar nicht, dass er deine Nummer hat.«
    Anna breitete kurz die Arme aus und ging zu ihrem PC.
    Sebastian nahm den Hörer. »Ja? Wolfgang?«

    »Verdammt, es hat eine Ewigkeit gedauert, Annas Nummer herauszufinden«, sagte Wolfgang Kessler am anderen Ende der Leitung, im fernen Hamburg. In seiner Stimme erklang eine Mischung aus Ärger und Aufregung. »Sag mal, wozu hast du eigentlich ein verdammtes Handy, wenn es dauernd ausgeschaltet ist?«
    »Tut mir leid, ich …«
    »Schon gut, schon gut. Ich habe dir eine SMS geschickt, aber ich bin froh, dass ich dich noch erreicht habe. Ich habe einen Flug für dich gebucht. Morgen früh von Reggio nach Mailand und dann weiter nach Riga. Dort ist im Reval Hotel Latvija ein Zimmer für dich reserviert.«
    »Was?«
    »Hör zu, Bastian. Hier geht’s derzeit drunter und drüber, und ich habe nicht viel Zeit. Morgen kommt übrigens der erste große Artikel über den Jungen heraus. Wird bestimmt ein echter Knaller.« Wolfgang legte eine kurze Pause ein, und Sebastian drehte den Kopf. Anna saß an ihrem PC, hatte den Browser Firefox aufgerufen und schenkte dem Telefongespräch keine Beachtung. »Heute Nachmittag hat es Lothar Mehrendorf erwischt. Zusammen mit dem BND-Fritzen war er in der Wohnung von Simon Krystek, und jemand hatte dort eine Bombe versteckt. Der BND-Typ konnte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, Mehrendorf nicht.«
    Sebastian versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. Alexander tot, und jetzt auch Lothar.
    »Der BND-Mann konnte die Wohnung rechtzeitig

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