Äon - Roman
damit.«
»Geheimdienstberichte über die Morde und Anschläge in Zusammenhang mit Kontaminierten«, brummte Kessler. »Und Krokus hat Sie angekündigt.«
»Mich?« Singerer wölbte eine Braue. »Interessant.« Er stand auf, ging am Tisch entlang und blieb auf halbem Wege zwischen Rolf und dem Chefredakteur stehen. »Sehen Sie das hier, Kessler?«, fragte er und deutete auf die Kratzer in seinem
Gesicht und die beiden Pflaster. »In Simon Krysteks Wohnung ging eine Bombe hoch. Ich bin mit dem Leben davongekommen. Lothar Mehrendorf hatte nicht so viel Glück, und Alexander Torensen ebenso wenig. Dies ist kein Spiel, Kessler.«
»Ich habe nie ein Spiel darin gesehen.«
»Viele Menschen sind bereits gestorben, und ich fürchte, dass noch viel mehr sterben werden«, fuhr Singerer fort. »Wir brauchen alle Informationen, um eine Katastrophe zu verhindern. Wer wichtige Hinweise zurückhält, weil er hofft, sich damit irgendeinen persönlichen Vorteil verschaffen zu können, handelt damit verdammt egoistisch und verantwortungslos.« Er gab Rolf ein Zeichen, und der junge Mann löste sein Notebook vom Präsentationscomputer, klappte den Deckel zu und stand auf. »Rolf bleibt die nächsten Tage hier bei Ihnen. Sehen Sie eine Art freien Mitarbeiter in ihm.«
Singerer öffnete die Tür, und Rolf ging nach draußen. Der BND-Mann zögerte und wandte sich noch einmal an Kessler. »Wenn sich Krokus erneut meldet, möchte ich sofort davon erfahren. Sie erreichen mich im Präsidium oder unter dieser Nummer.« Er legte eine Karte auf den Tisch, und dann ging er ebenfalls.
Kessler blieb sitzen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Nach einigen Sekunden kam seine Sekretärin Susanne herein.
»Meine Güte, Wolfgang, was ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Eine ziemlich dicke Laus, verdammt«, erwiderte er und schüttelte zornig den Kopf.
Die Klinik befand sich im Norden von Hamburg, in einer ruhigen Gegend, umgeben von einer parkartigen Grünanlage. In der Ferne konnte man Flugzeuge sehen, die zur Landung auf dem Hamburger Flughafen ansetzten oder von dort gestartet waren. Sie symbolisierten ein offenes Tor zur Welt. Die Klinik hingegen war ein abgeschotteter Ort, von der Außenwelt getrennt. Zumindest ein Teil von ihr.
Roland Singerer parkte in der Nähe des Eingangs, als der Abend dämmerte und im Park die ersten Laternen leuchteten. Als er die Klinik betrat, wartete Dr. Ritter bereits und trat mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
»Sie kommen genau richtig«, sagte er, ohne Zeit mit Höflichkeitsfloskeln zu verlieren. »In einem Fall ist es gleich so weit.« Ritter war klein und schmächtig, sein Gesicht von Falten durchzogen; seine Hand fühlte sich an wie altes Pergament. Die wässrigen Augen wirkten fast müde, aber Singerer wusste, dass dieser Eindruck täuschte. Hinter ihnen steckte eine wache Intelligenz, die er sehr zu schätzen wusste.
Eine Glastür glitt zur Seite, als sie sich ihr näherten, und hinter ihr erstreckte sich ein langer Flur, der in den öffentlichen Teil der Klinik führte - die spezielle Quarantänestation befand sich im zweiten Kellergeschoss. Dr. Ritter wandte sich hinter der Glastür sofort nach links und betrat den Lift. Singerer folgte ihm.
Die Kabine trug sie nach unten.
Als sich die Tür des Lifts öffnete, erwartete sie der Raum mit den Schutzanzügen. Dies war Singerers zweiter Besuch; er kannte die Routine. Einige Minuten später verließen sie den Umkleideraum, passierten eine antiseptische Schleuse und gingen dann, fast wie Astronauten gekleidet, durch einen kurzen
Korridor. Dieser Bereich der staatlichen Klinik befand sich seit Beginn der Krise unter direkter Kontrolle des Innenministeriums. Es gab noch immer einige Organisationsprobleme, die auf eine Lösung warteten, aber im Großen und Ganzen war die Quarantänestation einsatzbereit. Es befanden sich bereits zwanzig Kontaminierte hier, deren Zustand als bedenklich eingestuft worden war, und in den nächsten Tagen würden weitere folgen.
»Halten Sie dies noch immer für nötig?«, fragte Singerer, als sie einen Beobachtungsraum betraten. »Diese Schutzanzüge meine ich.«
»Es ist nach wie vor unbekannt, was die Ansteckung verursacht«, erwiderte Dr. Ritter. »Nur eins ist inzwischen klar. Von der Kontamination in Drisiano bis zu den ersten Symptomen dauert es durchschnittlich zwischen vier und sechs Monaten. In einigen wenigen Fällen begannen die Persönlichkeitsveränderungen erst nach einem Jahr, in anderen schon
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