Aeon
Verbund mit UV-Strahlern – ersten einfachen Lebensformen wie Bakterien, Algen und Flechten ausreichende Lebensbedingungen böte. Wir wissen, dass extremophile Bakterien an den heißesten und kältesten Orten unseres Planeten nicht nur überleben, sondern sich dort auch ohne Sonnenlicht richtig wohl fühlen – ja, sie überleben sogar die kosmische Strahlung, wie Experimente in Weltraumlaboren zeigten. In einer sich selbst verstärkenden Rückkopplung würden diese Winzlinge, wie in der Frühzeit unserer Erde, nach und nach weiteren Sauerstoff in den Kavernen entwickeln. Sie würden den von Maschinen vorbereiteten Untergrund zerkleinern und Grundnahrung für komplexere Lebewesen bilden (die man natürlich von der Erde »importieren« müsste, da die natürliche Evolution viel zu lange dauern und keinem festen Plan folgen würde). Würmer, Insekten und erste Pflanzen könnten schon nach einigen Jahren zu fixen Bewohnern werden und Humus bilden. Dass Gemüse und Obst auch ohne Sonnenlicht reifen können, zeigt uns die Technologie der Hydroponik : Künstliche Leuchtmittel müssten hierfür mit aus dortigen Rohstoffen – etwa Wasserstoff – gewonnener Energie betrieben werden. Und der notwendige Dünger könnte nach anfänglichen Importen völlig autark mit Hilfe von Mikroorganismen aus den Abfällen der Asteroidenbewohner erzeugt werden. Wichtigste Ressource für dieses gewaltige Vorhaben wäre, neben Unmengen von Energie, die man über Solaranlagen oder aus einer modifizierten Form der Kernspaltung beziehen müsste, natürlich Wasser . Dieses wäre jedoch – im Fall des wasserreichen Asteroiden Ceres – ohnehin vorhanden oder könnte aus »eingefangenen« eisigen Himmelskörpern bezogen werden. Die Chancen stehen gut, dass entweder der Mond oder ein großer Asteroid im 22. Jahrhundert zu einer dauerhaften zweiten Heimat der Menschheit werden.
Die ersten fünf Kammern
Wie ist der »Stein« strukturiert? Anhand der von Greg Bear verstreuten Hinweise komme ich zu folgendem Ergebnis:
Die 1. Kammer gleicht im Querschnitt einem gedrungenen Zylinder, der im Durchmesser 50 km und am Boden 30 km misst. Wie jede der ersten sechs Kammern ist sie im Durchmesser größer als lang und gleicht daher einem tiefen Tal. Dieses zu durchfahren dauert eine halbe Stunde, bevor man sich der schiefergrauen Kappe am Ende der Kammer nähert. Da sie aus der Frühzeit des »Steins« stammt, ist sie ingenieurtechnisch noch die geringste Herausforderung.
Der zur 2. Kammer führende Tunnel ist jeweils über eine Rampe befahrbar, die beidseitig mit Stützmauern verstärkt ist. Hinter der Rampe treffen wir auf einen 2 km breiten Park mit Baumgruppen und zahlreichen breiten Betongebilden. Weiter hinten schließt sich ein länglicher See von 1 km Breite an, der um die ganze Kammer verläuft. Eine Hängebrücke mit schlanken, hohen Türmen spannt sich zwischen massiven Betonpfeilern über das Wasser zu der Stadt Alexandria: Über ihre Fläche verteilt ragen 4 km hohe Bauwerke (»Mega« genannt) auf. Solche Gebilde hängen auch von der Decke der Kammer. Auf der anderen Seite erstrecken sich Grünflächen, Teiche und Straßenzüge, angelegt in konzentrischen Kreisen und Rechtecken. Irgendwo dazwischen treffen wir nicht nur auf die erste Bibliothek, sondern auch auf den Zentralfriedhof von Alexandria.
Die 3. Kammer dürfte ähnlich gestaltet sein. Ihr Gelände erscheint flach, krümmt sich jedoch unmittelbar über dem Horizont Richtung Norden, wobei die Krümmung an der Talseite immer stärker ansteigt und oben den Dunstschleier der künstlichen Atmosphäre durchbricht. Hier befindet sich die Stadt Thistledown, zwei Jahrhunderte jünger als Alexandria und Synonym der Nachmenschen für den gesamten Stein. War Alexandria schon beeindruckend, nimmt sich diese Stadt nun alle architektonischen Freiheiten: Die Kammer als riesiges Tal nutzend, hat man von Kappe zu Kappe Trossen gespannt und in beschwingter Folge mit Gebäuden behängt. Die Krümmung des Talbodens durchziehen 10 km lange, gewölbte Strukturen mit Bändern aus Stahl und behandeltem Steinmaterial, die silber-weiße Muster erzeugen; manche davon erheben sich bis zur Grenze der Atmosphäre, oben dicker als unten. Unter einem kegelförmigen Bau versteckt sich die zweite Bibliothek. Unmöglich sind solche Städte jedenfalls nicht: Längst gibt es Konzepte für »schwerelose« Architektur im Weltraum, die aufgrund drehender Bezugssysteme kein Oben und Unten mehr kennt, ob es sich nun um
Weitere Kostenlose Bücher