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Aeon

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Titel: Aeon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Verschiebung mit welchen Folgen eintreten sollte.
    Nachdem Olmy seine grundsätzliche Schuldigkeit gegenüber dem Nexus erfüllt hatte, stellte er seine Daten- und Auftragsaufzeichnungen ein und kehrte in sein altes Heim in der dritten Kammer zurück. Der zylindrische Apartmentblock, wo seine triadische Familie gelebt, wo er zwei Jahre seiner Kindheit verbracht hatte, stand am Rand der Stadt Thistledown, keinen Kilometer von der Nordkappe entfernt. Früher hatte das Gebäude zwanzigtausend Personen beherbergt, hauptsächlich Geshel, Techniker und Forscher vom Projekt Kammer sechs. Es hatte anschließend Hunderten von orthodoxen Na deriten, die vom Nexus aus Alexandria verstoßen worden waren, als vorübergehende Bleibe gedient. Nun stand es natürlich leer; es sprachen keine Anzeichen dafür, dass es von der neuen Besatzung des Asteroiden betreten worden war.
    Olmy ging durch die Eingangshalle und stellte sich an den Kreditschalter und kniff die Augen zusammen, als überlegte er. Er wandte sich zum breiten, glänzenden Fenster und bemerkte im Hof den Frant, der geduldig auf dem leeren Podest einer Lichtskulptur saß. Das Fenster erweckte den Anschein, als wäre der Frant in einem üppigen Erdengarten mit leuchtendem Abendrot. Dem Frant wäre das nur recht, dachte Olmy sich.
    Er piktographierte dem Kreditschalter und erhielt eine vertrauliche Antwort: Das Apartment sei blockiert wie alle Apartments im Gebäude. Es könne keins bezogen oder auch nur besichtigt werden, solange die gegenwärtige Sperre nicht widerrufen wäre.
    Die Sperre wurde verhängt, nachdem die letzten Naderitenfamilien aus den Städten abgezogen worden waren. Nur öffentliche Gebäude waren zur Benutzung offen geblieben für die letzten Gelehrten, die gerade ihre Auswertung der Massenflucht abschlossen. Die Menschen der Erde hatten sich bereits eines Teils dieser Einrichtungen bedient – vor allem der Bibliothek der Stadt Thistledown.
    Er piktographierte eine nexus-kodierte Ikone in den Kreditschalter und sagte laut: »Ich habe Vollmacht, das Verbot vorübergehend aufzuheben.«
    »Vollmacht anerkannt«, erwiderte der Schalter.
    »Einheit drei sieben neun sieben fünf öffnen und neu ausstatten.«
    »Welche Ausstattung?«
    »Die Ausstattung der triadischen Familie von Olmy-Secor-Lear.«
    »Mitglied dieser Familie?«, erkundigte sich der Schalter höflich.
    »Ja.«
    »Prüfe. Ausstattung komplett. Bitte weiter!«
    Olmy nahm den Lift. Als er – eine Handbreit über dem Boden gehend – durch den runden, bleigrauen Gang schritt, spürte er einen völlig ungewohnten und unangenehmen gefühlsmäßigen Ruck – den längst vergangenen Schmerz längst vergessener oder aufgegebener Träume, jugendlicher Hoffnungen, die von politischen Zwängen zunichtegemacht worden waren.
    Er hatte so lange gelebt, dass sein Gedächtnis die Gedanken und Empfindungen vieler verschiedener Persönlichkeiten zu enthalten schien. Aber dennoch durchdrang ein bestimmtes Emotionsmuster alle anderen und behielt ein bestimmtes Streben die Oberhand. Er hatte jahrhundertelang für die Sache der herrschenden Geshel an Naderiten gewirkt und war stets unparteiisch geblieben, sodass ihm diese Gelegenheit zu guter Letzt gewährt werden sollte.
    Seine Apartmentnummer leuchtete rot am Fuß der kreisrunden Tür auf; es war die einzige leuchtende Nummer im Gang. Er trat ein und blieb in einem Anflug von Nostalgie in der Umgebung seiner Kindheit stehen. Möbel und Ausstattung waren komplett und entsprachen dem, worum sein natürlicher Vater bemüht gewesen war: der Wohnung in Alexandria, aus der sie vertrieben worden waren. Zwei Jahre lang hatten sie hier gelebt und auf die Entscheidung ihres Falles gewartet, bevor die triadische Familie in die neu gebaute Achsstadt umziehen konnte.
    Sie waren die letzte Familie gewesen, die in diesen Gebäuden lebte, und Olmy hatte reichlich Gelegenheit gehabt, das Coop-Gedächtnis zu ergründen und mit Programmen zu experimentieren. Schon in seiner Kindheit hatte er – sehr zum Leidwesen seiner orthodoxen Naderiteneltern – einen Hang zum Technischen entwickelt. Und was er vor fünf Jahrhunderten im Gedächtnis des Gebäudes entdeckt hatte, das gab seinem Leben eine neue Richtung …
    Er setzte sich in den himmelblauen Sessel seines Vaters vor der Datensäule. Solche Säulen waren in der Achsstadt heutzutage selten und dienten nur noch als rührende Antiquität; er allerdings hatte als Kind Hunderte von angenehmen Stunden vor diesem Gerät verbracht und

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