Aerger mit dem Borstenvieh
Annie übernahm Shirley freiwillig die erste schlimme Wache. Sie brauchte ihr Angebot nicht zweimal zu machen. Denn das bedeutete, daß man so gegen zwei Uhr morgens aus dem Bett klettern und hinunter zu dem kalten dunklen Viehhof gehen mußte, um nach dem Schwein zu sehen. In der Nacht merkte ich, als sie meine Seite verließ; und anschließend, trotz ihres Bemühens, wie eine Katze zu schleichen, wurde ich nochmals wach, als sie zurück unter die Bettdecken kroch.
»Nicht mal’n Würstchen«, sagte sie kurz und bündig, rollte sich zur Seite und schlief wieder ein.
Drei Stunden später riß mich unbarmherzig der Wecker hoch, um mit der täglichen Arbeit zu beginnen. Die Situation war unverändert: Das Schwein öffnete nur die Augen, aber bewegte sich nicht im geringsten, als ich in ihr Gehege schaute. Eine merkwürdige Tatsache. Alle anderen Säue sprangen immer sofort hoch und verlangten gierig nach ihrem Futter; sie wollten auf schnellstmöglichem Wege rund und drall werden, um den Vorrat an Schweinebraten und Schinken der Nation aufzustocken.
Nächtliche Unterbrechungen waren eine Angelegenheit, auf die wir liebend gern verzichtet hätten. Aber wir machten weiter, weil wir durch den umschichtigen Nachtdienst eine Anzahl kleiner Ferkel in der Vergangenheit hatten retten können. Manchmal mußten wir sie von der Nachgeburt befreien, gelegentlich steuerten wir >verirrte< Schweinchen zur warmen Sau und der Infrarotlampe zurück, die über ihrem Kriechställchen hing, und einmal mußten wir sogar ein kleines Eberferkelchen aus einem Wassertrog retten, in welchen es hineingefallen war, nachdem es ihn gefunden und über die niedrige Umrandung gekraxelt war.
Diesmal jedoch wurde unser Durchhaltevermögen wirklich auf die Probe gestellt: Es vergingen nämlich acht ermüdende Tage und Nächte, bis endlich John ins Schlafzimmer kam und mich mit der Nachricht weckte, daß >etwas< im Gange war. Wir hätten Shirley weiterschlafen lassen, aber sie wollte nicht im Ungewissen gelassen werden und kam mit uns runter. Um vier Uhr morgens hatte Annie neun Ferkel zur Welt gebracht. Die guten Nachrichten waren damit allerdings zu Ende, und Shirleys schlechte Vorahnungen waren leider sehr berechtigt gewesen.
Matt und erschöpft lag die Sau da, sie hatte keine Kraft, um sich aufzurichten. Lediglich ein paar wenig überzeugend klingende Grunzer gab sie von sich, um den protestierenden, hungrigen Ferkeln Mut zu machen, die eifrig, aber offensichtlich ohne großen Erfolg an ihren Zitzen nuckelten.
Man konnte nur eins tun: den Tierarzt holen. Sobald der Uhrzeiger auf eine zivilere Stunde vorgerückt war, riefen wir ihn an. Sein Assistent, ein schlanker junger Mann, der erst vor kurzem sein Examen gemacht hatte, kam vorgefahren und nahm eine gründliche Untersuchung vor. Dann sagte er zu uns: »Gebärmutterentzündung. Ich werde ihr jetzt zwei Spritzen geben und lasse noch eine hier, die Sie ihr morgen verabreichen. Die Entzündung wird sicher zurückgehen, aber leider wird sie wohl kaum Milch haben. Um den Wurf werden Sie sich wohl kümmern müssen.«
Das war keine gute Nachricht, besonders nicht für Shirley, an der das Aufziehen von kranken und jungen Tieren unweigerlich hängen blieb. Aber wir hatten keine andere Wahl. Sobald daher der zerbeulte grüne Ford des Tierarztes den Weg hinauf verschwunden war, setzte sich Shirley ans Steuer unseres Austins und fuhr zur hiesigen Landwirtschafts-Kooperative, um Sauersatzmilch zu kaufen.
Dieser Lebensretter wurde zu einer fetthaltigen, dickflüssigen Milch angerührt und dann mit Hilfe von kleinen Fläschchen den undankbaren Kerlchen eingetrichtert. Sie mögen zwar wie lebende Würstchen aussehen, aber ihre Stimmen hören sich wie kleine Polizeisirenen an! Und wie sie diese in Betrieb setzten! Sobald man sie vom Boden aufnahm, schrillten sie derart los, daß man meinte, das Dach würde davonfliegen. Normalerweise wäre durch ihren Protest schnelle und wütende Unterstützung seitens der Muttersau herbeigeeilt, aber diese war viel zu schwach, um mehr als einige Seufzer auszustoßen.
Alle drei saßen wir da und hielten zappelnde, widerspenstige Ferkel auf den Knien. Mit kleinen Tonic-Wasser-Flaschen — ein Relikt aus luxuriöseren Zeiten — und Babysaugern versuchten wir uns als Ammen. Eine mühsame, Geduld erfordernde Beschäftigung, weil sie mehrmals am Tag anfiel. Wir waren sehr froh, als die beiden Kleinen nach der Schule den Weg heruntergerannt kamen. Sie waren neugierig auf die
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