Aerzte zum Verlieben Band 42
sprechen.“
„Wieder im OP, denke ich.“
Natürlich. Er hatte es ja auf der Weißwandtafel gelesen. Wahrscheinlich arbeitete sie mit demselben Team wie bei Colin. Würde Anna versuchen herauszufinden, ob außer ihr noch jemand den Vorfall bemerkt hatte? Sie konnte Verstärkung gebrauchen, wenn sie an höherer Stelle Bedenken über ihn äußern wollte.
Als es passierte, hatte sie keinen Ton gesagt, ihm nicht einmal einen fragenden Blick zugeworfen. Vorher war sie mit anklagenden Blicken nicht gerade sparsam gewesen. Ließ sie sich deshalb nichts anmerken, weil sie den richtigen Moment abwarten wollte, ehe sie zuschlug?
Verdammt! Wie hatte ihm so etwas nur passieren können? Nächtliche Albträume war er gewohnt, aber ein Flashback am helllichten Tag, ausgerechnet bei einer Herzoperation? Luke hatte keine Ahnung, wie lange er die Konzentration verloren hatte, aber er konnte sich ausmalen, was passiert wäre, wenn Anna nicht sofort reagiert hätte.
Es wird nicht wieder vorkommen, sagte er sich. Wahrscheinlich lag es daran, dass es nach der Entlassung aus dem Militär seine erste OP in einem zivilen Krankenhaus gewesen war. Verglichen mit der Arbeit in einem irakischen Feldlazarett oder bei einem Rettungseinsatz an der Front war es ein Unterschied wie zwischen Himmel und Hölle. Hier war Geduld gefragt, langsames, bedächtiges Vorgehen, so ganz anders als die hektischen, fieberhaften Versuche, Leben zu retten oder Schwerverwundete zu versorgen. Und das unter haarsträubenden Bedingungen.
Er war in einen mentalen Hinterhalt geraten, verursacht durch den unerwarteten Schwall Blut, die rote Lache, die sich rasch gebildet hatte.
Was auch immer, das würde ihm nicht noch einmal passieren. Jetzt war er vorbereitet, ein zweites Mal verlor er nicht die Kontrolle. Davon war Luke überzeugt.
Aber ob Anna ihm glauben würde?
Er sah ihre Augen vor sich, smaragdgrün, mit langen schwarzen Wimpern. Kein Mascara, dafür ein ärgerlicher, vorwurfsvoller Blick. Wie würde es sein, wenn ihn diese Augen warm und vertrauensvoll anblickten?
Ein verführerischer Gedanke, doch Luke bezweifelte, dass er das je erleben würde. Dabei sollte es ihm eigentlich wichtig sein, Annas Vertrauen zu gewinnen. Aber diese unterschwellige Spannung zwischen ihnen war sehr viel faszinierender. Sie gab ihm das Gefühl, lebendig zu sein, etwas, das er nicht mehr empfunden hatte, seit man ihn nach Hause geflogen hatte.
Da war er, drüben am Fenster.
In Gedanken versunken, fast grüblerisch, saß Luke Davenport vor seinem Teller und verzehrte sichtlich lustlos sein Mittagessen. In der Kantine war es voll und laut, doch er saß als Einziger allein am Tisch. Anna hatte nicht den Eindruck, dass er gern hier war. Warum hatte er sich dann kein Sandwich und einen Salat geholt, wie sie es meistens tat, um ungestört im eigenen Zimmer zu essen?
Hoffte er auf Gesellschaft? Sicher kannte er hier unzählige Leute, aber es gab eine Hierarchie, und vielleicht war noch keiner der Chefärzte anwesend. Anna stand in der langen Schlange vor der Essensausgabe und hoffte, dass sich jemand zu ihm gesetzt hatte, bis sie an der Reihe war. Dann müsste sie kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie einen Bogen um ihn machte.
Natürlich wollte sie mit ihm sprechen, aber die überfüllte Krankenhauskantine war nicht gerade der richtige Ort für die Unterhaltung, die sie im Sinn hatte. Und die Aussicht auf einen Smalltalk mit diesem Mann war alles andere als verlockend. Außerdem wäre es unehrlich, weil ein viel wichtigeres Thema im Raum stand. Solche Spielchen hatte Anna noch nie gemocht.
Andererseits wirkte Luke unnahbar, so als wäre er sich selbst genug und bräuchte niemanden. Dass er nicht gerade an mangelndem Selbstvertrauen litt, hatte sie bereits erfahren. Und wenn er wusste, dass man ihn hier in höchsten Tönen lobte, dann bildete er sich vielleicht auch etwas darauf ein. Vielleicht wollte er gar keine Gesellschaft?
„Hi, Anna!“
Hinter ihr hatte sich der nächste Pulk hungriger Kollegen angestellt, und der Gruß war von Charlotte Alexander gekommen. Die Kardiologin stand hinter zwei Krankenschwestern, die sich vorbeugten, um das Sushi-Angebot in der Kühltheke zu inspizieren.
Anna suchte grundsätzlich keinen persönlichen Kontakt zu Kollegen. Aber falls sie sich mit jemandem hätte anfreunden wollen, dann mit Charlotte. Doch obwohl sie freundlich, fast herzlich miteinander umgingen, hielt Anna Abstand. Sie hatte zwar bemerkt, dass Charlotte zugenommen
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