Aerzte zum verlieben Band 48
sie eine ungeheure Kraft, die ganze Zeit vorzugeben, dass Jorge ihr gleichgültig war. Inzwischen fürchtete sie, die Reise nach Argentinien könnte sich als der größte Fehler ihres Lebens erweisen.
In dem Augenblick, als sie Jorge gegenüberstand, war alles wieder wie früher gewesen. Sie liebte ihn noch immer, hatte nie aufgehört, ihn zu lieben. Natürlich hatte es während der letzten vier Jahre unzählige Gelegenheiten gegeben, in denen sie ihn schmerzlich vermisst hatte. Doch ihm leibhaftig wieder gegenüberzustehen, seine Stimme zu hören und seine vertrauten Gesten zu sehen, war etwas ganz anderes. Ihr Verlangen, zu ihm zu gehen und ihn in den Arm zu nehmen, war so übermächtig, dass es fast wehtat, ihm nicht nachzugeben.
Hoffentlich hatte Jorge nichts davon bemerkt.
Müde schloss sie die Augen, um in der gleichen Sekunde sein Bild vor sich zu sehen. Als sie die Ereignisse des Tages gedanklich Revue passieren ließ, beschlich Caroline der unangenehme Verdacht, dass ihre Zweifel berechtigt gewesen waren. Jorges Verhalten bot nicht den geringsten Grund zu der Hoffnung, dass er ihre Gefühle erwiderte.
Hatte die E-Mail also doch der Wahrheit entsprochen? War es gar nicht sein Stolz gewesen, der ihn dazu getrieben hatte? Liebte er sie wirklich nicht?
Doch welche Konsequenzen hatte das für sie?
Sie war hier, weil Ella ein Recht darauf hatte, ihren Vater kennenzulernen. Daran hatte sich nichts geändert.
Indem sie mit ihm arbeitete, würde sie, Caroline, erfahren, was für ein Mann er während der letzten Jahre geworden war. Im Idealfall würden sie nach einigen Wochen gemeinsam einen Zukunftsplan für Ella schmieden können. Einer ihrer Gründe, mit Ella nach Argentinien zu kommen, lag darin, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter kaum noch etwas in Australien gehalten hatte.
Wenn Ella hier mit ihrem Vater aufwachsen konnte, dann war es für Caroline auch kein Problem, in Argentinien zu bleiben.
Natürlich hatte sie gehofft, Jorge würde sie noch lieben. Voller Zuversicht hatte sie sich ausgemalt, wie sie seinen Schutzwall durchbrechen und ihn zurück in ein glückliches Leben führen würde.
Doch auf keinen Fall würde sie um seine Liebe betteln. Vor allem nicht, wenn sich herausstellte, dass er ihr damals etwas vorgemacht hatte.
Ein Gefühl lähmender Hilflosigkeit trieb ihr Tränen in die Augen, doch sie wehrte sich wütend dagegen. Sie hatte genug um Jorge geweint! Jetzt war es an der Zeit zu handeln. Ellas Zukunft war wichtiger als ihre Sehnsucht nach Liebe. Sie würde einen Weg finden, in Jorges Nähe zu bleiben, damit ihre Tochter ein halbwegs normales Verhältnis zu ihrem Vater haben konnte.
Doch wie sollte sie es verhindern, dass er irgendwann erkannte, wie sehr sie ihn noch liebte?
Irgendwie würde es ihr schon gelingen. Schließlich hatte sie keine andere Wahl.
Nachdem sie diese Entscheidung getroffen hatte, stand sie auf und brachte ihre beiden Rucksäcke in den kleinen Nebenraum, der als Gästezimmer diente.
Erstaunt sah sie das große, kunstvoll geschnitzte Holzbett und die dazu passende Kommode an und fragte sich, wie diese wunderschönen Möbelstücke in Jorges ärmliche Hütte passten.
In diesem Augenblick hörte sie von draußen einen gellenden Schrei. Reflexartig rannte Caroline hinaus und fand ein schwer keuchendes Kind auf dem Boden vor der Hütte liegend. Während sie nachsah, ob der Junge einen Fremdkörper im Mund hatte, kam auch Juan herbeigeeilt. In der Sprache der Toba sprach er mit den Kindern und der älteren Frau, die seine Großmutter sein musste.
„Er ist einfach umgefallen“, erklärte er Caroline.
Froh, einen Übersetzer zu haben, stellte Caroline die üblichen Fragen: War der Junge Epileptiker? Hatte er schon früher solche Anfälle gehabt? Waren Allergien bekannt?
Während Juan alles verneinte, verschlimmerte sich der Zustand des kleinen Patienten zusehends. Entschlossen hob Caroline ihn hoch und trug ihn zur Krankenstation.
Juan brachte sie zum einzigen Behandlungsraum, wo Caroline das Kind schnell untersuchte. Der niedrige Blutdruck und die Hautrötungen ließen sie einen allergischen Schock vermuten.
„Ich brauche Adrenalin“, erklärte sie Juan, der sofort eine Schublade aufzog und ihr innerhalb weniger Sekunden die Spritze reichte. Geschickt ließ Caroline die Nadeln in den Oberschenkelmuskel gleiten.
„Wenn es in fünf Minuten nicht besser ist, brauchen wir eine zweite Injektion.“
Noch bevor Juan antworten konnte, war von draußen ein Tumult
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