Aerzte Zum Verlieben Band 59
einmal den Gedanken, dass er während der schweren Zeit der Chemotherapie allein sein würde. Doch sie kannte ihn zu gut, ahnte die Antwort, noch bevor er sie ausgesprochen hatte.
„Ich will nicht zu Mum. Ich will niemanden dabeihaben, wenn ich über der Schüssel hänge.“
7. KAPITEL
„Wie geht es dir, James?“
Zwei Wochen später lag er in einem der Liegesessel, an denen er sonst im Arztkittel stand, und beantwortete die Fragen der Onkologieschwester.
Formulare, Fragebögen, der ganze Papierkram ging ihm seit jeher gegen den Strich. Ihm war allerdings nie in den Sinn gekommen, dass seine Patienten das ähnlich sehen könnten. Immer wieder dieselben Fragen, dieselben Antworten, es war zum …
James hielt inne, als Harriet mit ihm das Formular durchging. „Mein Notfallkontakt hat sich geändert“, sagte er.
„Oh.“
„Veronica Carmichael – meine Mutter. Aber ruf sie nur an, wenn ich tot bin“, scherzte er matt. „Sie bringt sich sonst um vor Sorgen.“
Seine Privatadresse musste er auch ändern, genau wie die Telefonnummer. Mit jeder Ziffer löschte er sich mehr und mehr aus Avas Leben.
Oft genug hatte er Harriet in steriler Kleidung und Handschuhen gesehen. Sie hatte seine Vitalwerte gemessen, professionell und freundlich wie immer. Warum er sich anders fühlte als sonst, war ihm nicht auf Anhieb klar. Doch dann erinnerte er sich an Gespräche mit seinen Patienten, und plötzlich wusste er es. Es war das Mitleid, das wie eine unsichtbare Rauchwolke durch den Behandlungsraum waberte, der gezwungene Anstrich von Normalität.
James hätte aus der Haut fahren können. Natürlich war er froh, dass Harriet nicht mehr mit ihm flirtete, es hatte bei ihm jedes Mal Unbehagen verursacht. Aber es ging nicht nur um Harriets Verhalten, sondern um das aller anderen auch. Nun ja, fast aller. Es gab immer noch einige wenige, die nicht um ihn herumstrichen wie Katzen um den heißen Brei.
Richard, zum Beispiel.
„Als Sie sagten, Sie wären bei mir, wofür auch immer ich mich entscheide …“, begann der junge Mann. „… da habe ich nicht gedacht, dass Sie Ihre Pflichten so ernst nehmen.“
James wandte den Kopf. „Ich gebe mir Mühe, Richard. Tja, jetzt haben Sie die Antwort auf Ihre Frage, was ich an Ihrer Stelle tun würde.“ Er lächelte. „Tut mir leid, dass ich bei Ihrem Termin nicht dabei sein konnte.“
„Kein Problem. Zwei Tage, nachdem wir miteinander gesprochen hatten, habe ich es mir anders überlegt. Ich hatte doch nicht die Ruhe, einfach abzuwarten. Ihr Kollege meinte nur, es ginge Ihnen nicht gut. Aber er hat nicht gesagt, was Sie haben.“ Richard blickte ihm in die Augen. „Tut mir echt leid.“
Und sie sprachen über ihre Laborwerte und die Behandlung.
„Ist das Ihre zweite?“ James sah zu dem Infusionsbeutel hoch, aus dem der Chemikaliencocktail langsam in Richards Vene tropfte. „Wie war es bisher?“
Der junge Mann verzog das Gesicht. „Nicht so schlimm, wie ich dachte. Aber ich habe gehört, dass es schlimmer wird.“
Sie wechselten noch ein paar Worte, dann steckte sich Richard die Ohrstöpsel seines MP3-Players ins Ohr.
Irgendwann war James es leid, die Schwestern hinter der Glasscheibe reden zu hören. Über ihn, natürlich. Wussten sie, dass Ava und er sich getrennt hatten? Dann kam Finn an die Reihe. Ihm ginge es etwas besser, sagte eine. Aber er hätte darauf bestanden, bald entlassen zu werden, wusste eine andere. „Obwohl sein Arm praktisch taub und eine leichte Lähmung in einem Bein zurückgeblieben ist“, sagte sie.
James legte eine DVD ein, einen Actionthriller, weil er die anderen Filme, die man ihm hier anbot, satt hatte. Streifen, die den Patienten aufmuntern und positiv stimmen sollten. Doch obwohl der Thriller spannend war, konnte er sich nicht konzentrieren. Die verschiedensten Gedanken geisterten ihm durch den Kopf, während er versuchte, nicht an Ava zu denken.
„James!“ Cleo, die diensthabende Schwester für die Spätschicht, war gerade gekommen. Kaum hatte sie ihn gesehen, kam sie zu ihm herüber. Die Infusion war durchgelaufen, und Harriet entfernte die Kanüle aus seinem Arm. „Wie geht es dir?“
„Gut, danke. Ich kann gleich nach Hause.“
Dabei ging es ihm gar nicht gut. Jeder sprach anders auf die Chemo an, das wusste er. Er war hundemüde, als hätten sie ihm ein Narkosemittel in den Tropf getan.
James trank eine Tasse Tee und aß ein Sandwich, dann durfte er nach Hause. Oder vielmehr in das ungemütliche Apartment, das er sich
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