Aerzte Zum Verlieben Band 59
die schwere Zeit der Chemotherapie zu helfen.
Da sah sie ihn, am Ende des Flurs, zusammen mit seiner Mutter. James schien sich nicht verändert zu haben, seit sie ihn vor wenigen Tagen in der Kantine gesehen hatte. Doch je näher er kam, umso deutlicher wurden die Spuren der Erschöpfung sichtbar. Weil ihm übel war, oder weil ihn die Krankheit mehr und mehr bedrückte?
Zuerst tat er, als hätte er Ava nicht gesehen. Sie verhielt sich genauso, checkte ihr Handy nach Anrufen, doch ihr Herz hämmerte gegen die Rippen, während jeder Schritt den Abstand zwischen ihnen unaufhaltsam verringerte. Veronica wirkte auch mitgenommen, sie schien um zehn Jahre gealtert, seit James den Befund bekommen hatte.
„Ava.“ Er nickte ihr zu, und sie öffnete den Mund, wollte fragen, wie es war, wie er sich fühlte, doch da war James schon weitergegangen.
„Hallo, Ava.“ Ginny lächelte ihr zu, als Ava an ihr vorbei zu ihrem Schreibtisch ging. „Alles in Ordnung? Du bist ganz blass.“
„Mir geht’s gut“, antwortete sie, obwohl ihr nach Schreien und Heulen zumute war. Mit äußerster Selbstbeherrschung schaffte sie es bis zu ihrem Schreibtisch.
Harte Disziplin brauchte sie auch für den Rest des Nachmittags. Sie gab sich große Mühe, sich auf ihre Patienten zu konzentrieren, auch wenn es ihr nicht immer gelang. Ava war hundemüde, vielleicht weil es so anstrengend war, ihre Gedanken im Zaum zu halten, die sich immer wieder um James drehten.
„Bis morgen, Ginny.“ Zum ersten Mal machte sie pünktlich um fünf Uhr Schluss, holte ihre Tasche aus dem Schrank und ging zur Tür.
„Oh!“ Ginny sah auf, fast wie ertappt. „Bis morgen, Ava …“, fügte sie mit einem gezwungenen Lächeln hinzu.
Da wusste Ava Bescheid.
Die Neuigkeiten hatten die Runde gemacht: James und Ava waren nicht mehr zusammen, die Ehe am Ende.
Ava war keine fünf Minuten zu Hause, da klopfte es an der Wohnungstür.
Ihr Herz begann zu rasen, und so sehr sie sich auch einredete, dass es nicht James sein konnte, die Hoffnung ließ sich nicht ersticken.
„Hallo, Ava.“ Evie stand vor ihr.
„Ich vermute, du hast es gehört.“ Sie zog die Tür weiter auf und ließ Evie herein.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Ava. Da überschütte ich dich mit meinen Problemen, und die ganze Zeit …“
„Mach dir keine Gedanken. Ich freue mich, dass du gekommen bist.“ Sie bot ihr einen Drink an, und als Evie nickte, schenkte sie zwei Gläser Wein ein.
„Und, was erzählt man sich so?“, fragte sie, nachdem sie sich auf das Sofa gesetzt hatten.
„Nur, dass ihr euch getrennt habt. Letzte Woche wurde auch schon gemunkelt, aber ich habe nicht weiter darauf geachtet. Ich weiß doch, wie glücklich …“ Sie unterbrach sich, fing von Neuem an. „Ich meine … ich dachte, ihr seid glücklich miteinander. Und jetzt, da James krank ist, kam es mir erst recht unwahrscheinlich vor. Du würdest ihn doch nie …“ Evies Blick fiel auf Avas Ringfinger mit dem Ehering.
„Er hat mich verlassen.“ Ihr war klar, dass viele im Krankenhaus das Gegenteil vermuteten. „Wie auch immer, ich muss mich nicht rechtfertigen.“
„Natürlich nicht.“
„Dich meine ich nicht.“ Ava seufzte. Mein Leben ist ein einziges Chaos. „Wir haben schon seit einer Weile unsere Probleme“, gestand sie. „Es kommt also nicht aus heiterem Himmel … auch wenn es sich so anfühlt.“ Sie war froh, mit Evie reden zu können. Es war einfacher als mit ihrer Mutter, und es tat gut, etwas mehr über James zu erfahren.
„Soweit ich weiß, hat er sich die nächsten beiden Tage frei genommen“, erzählte Evie. „Anscheinend liegen zwischen den einzelnen Chemoterminen jeweils drei Wochen.“
„Ich weiß überhaupt nichts, ich habe keine Ahnung, wie schlimm es für ihn werden kann.“
Sie redeten noch eine Weile über James, dann holte Ava zwei Single-Portionen aus ihrem Gefrierfach und wärmte sie in der Mikrowelle auf. Beim Essen erkundigte sie sich nach Finn.
„Es sieht nicht gut aus – nach dem, was ich gehört habe. Glaub nicht, dass ich besser informiert bin als du bei James.“
„Warst du noch nicht bei ihm?“
„Er will keinen Besuch.“ Evie zuckte mit den Schultern, aber als Ava ihr ins Gesicht sah, hatte sie das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken. Da waren die gleichen Sorgenfalten zu sehen, die dunklen Schatten unter den Augen, die zusammengepressten Lippen, der verzweifelte Versuch, optimistisch zu bleiben. „Na ja, sein Zustand ist nicht gerade rosig,
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