Aerzte Zum Verlieben Band 59
gemietet hatte. Er dachte an die Wohnung im Kirribilli Views, dachte an den Kühlschrank, der auf Knopfdruck Eiswürfel ausspuckte, dachte an das breite Bett – und möglichst nicht an Ava.
„Soll ich Ava anrufen und ihr sagen, dass sie dich abholen kann?“, bot Cleo an.
James sah, wie Harriet rote Wangen bekam. „Nein“, antwortete er. „Meine Mutter weiß Bescheid, sie müsste gleich hier sein.“ Er hatte etwas gegen Übelkeit bekommen, der Chemococktail tat seine Wirkung, und James wollte nur noch weg von hier. „Ava und ich haben uns getrennt, Cleo“, fügte er dann doch hinzu.
„Oh!“ Das musste sie sichtlich erst verarbeiten. „Aber du bleibst heute Abend bei deiner Mum, oder?“
Er brauchte keinen Babysitter. Doch das ging die anderen nichts an.
„Da ist sie schon.“ James stand auf, als seine Mutter den Raum betrat. Die Sorgenfalten auf ihrer Stirn waren tiefer geworden, seit er ihr von seiner Krankheit erzählt hatte. Er wünschte, er könnte ihr die Angst nehmen. „Hi, Mum. Wollen wir los?“
Avas Mutter machte sich keine Sorgen. „Ich verstehe dich nicht, Ava. Ihr schlaft nicht mehr miteinander, ihr lebt jeder euer Leben, und jetzt macht es dich fertig, dass es vorbei ist?“
„Das verstehst du nicht.“ Ava war tatsächlich zu ihrer Mutter gefahren, um sich Rat zu holen. Etwas, das sie niemals hatte tun wollen.
„Das sind Schuldgefühle, nichts weiter“, fuhr Fleur energisch fort. „James hatte heute seine erste Chemo, und dein schlechtes Gewissen redet dir ein, dass du bei ihm sein musst.“
Ava hörte zwar zu, konnte jedoch nicht nachvollziehen, was ihre Mutter sagte. Mum und Liebe, das passt einfach nicht zusammen, dachte sie nicht zum ersten Mal.
„Und komm ja nicht auf die Idee, einer Scheidung zuzustimmen“, riet Fleur eindringlich, als sie sie zum Wagen begleitete. „Sieh mich nicht so an, Ava. Ich denke nur praktisch … du wärst doch verrückt, wenn du dich jetzt scheiden ließest.“
Auf der Rückfahrt dachte Ava wieder an James, wie so oft seit heute Morgen. Der Tag hatte sich endlos gedehnt, ihre Gedanken waren immer wieder abgeschweift, zu James bei seiner ersten Chemotherapie. Vielleicht war sie deshalb in der Mittagspause zu ihren Eltern gefahren.
Manchmal begegnete sie James bei der Arbeit oder in der Kantine, da sie sich beide unabhängig voneinander angewöhnt hatten, dort zu essen. Er trug das Haar raspelkurz, wahrscheinlich, damit es nicht so auffiel, wenn es ihm während der Chemo ausging. Es kam ihr wie eine gehässige Ironie des Schicksals vor, dass er mit diesem Haarschnitt kraftvoll und kerngesund wirkte.
James ignorierte sie, wenn sie in der Nähe war. Einmal, als er mit einer der Krankenschwestern zusammensaß, hörte sie ihn lachen. Früher wäre sie zu ihnen gegangen, aber jetzt hielt sie sich abseits, fühlte sich ausgeschlossen, eifersüchtig. Sie waren getrennt, aber nicht geschieden. Verheiratet, aber nicht zusammen.
Sie betrat das Krankenhaus, versuchte, sich wieder auf die Arbeit einzustimmen. Es fiel ihr unendlich schwer. Viel lieber wäre sie nach Hause gefahren, ins Bett gekrochen und hätte sich die Decke über den Kopf gezogen. Nie zuvor in ihrem Leben war sie so müde gewesen.
Zwei Wochen waren vergangen, seit James sie verlassen hatte. In diesen vierzehn Tagen hatte Ava wild entschlossen weitergemacht, als hätte sich nichts geändert. Anderen von der Trennung erzählen, warum? Das wäre doch voreilig. James könnte seine Meinung jederzeit ändern. Bestimmt würde er bald anrufen und ihr sagen, dass er nach Hause käme. Oder sie begegnete ihm im Fahrstuhl, weil er auf dem Weg zu ihr war.
Dabei fand sie es verblüffend, dass in einem Gerüchtekessel wie dem Sydney Harbour Hospital noch niemand davon Wind bekommen hatte. Die Kollegen erkundigten sich bei ihr, wie es James ging, und da sie immer noch ihren Ehering trug, schien keiner Verdacht zu schöpfen. James hatte wohl nichts erzählt, ein gutes Zeichen. Sicher kam er bald zu ihr zurück.
Ava beschäftigte sich in jeder freien Minute, in der sie nicht arbeitete, um nicht in trübe Grübeleien zu verfallen. Morgens ging sie schwimmen und an den meisten Abenden zum Reiten. Der Ausritt tat ihr gut, auf dem Pferderücken konnte sie sich entspannen. Schwierig wurde es nur, wenn sie danach in die leere Wohnung zurückkehrte und bis zum Schlafengehen mit der Versuchung kämpfte, James anzurufen. Heute Abend würde es besonders hart sein. Sie wäre so gern bei ihm, um ihm durch
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