Aerzte Zum Verlieben Band 59
sie zu Lily, weil sie es auf einmal nicht mehr aushielt.
„Gern.“ Lily erhob sich ächzend.
Sie kamen zu den Stallungen, für Ava das Paradies auf Erden. Allein die Geräusche und der Geruch, der aus den Pferdeboxen drang, beruhigten sie.
„Glenfiddich kennst du schon“, meinte Lily, als Ava seine rabenschwarze Mähne streichelte. „Auf ihm bin ich zur Trauung geritten.“
„Ein schönes Tier.“
„Luke findet ihn zu temperamentvoll, aber im Grunde ist er lammfromm. Was hältst du von einem Ausritt?“
„Du reitest noch?“, fragte Ava verblüfft. Lily war sicher schon im siebten Monat.
„Ich würde sonst durchdrehen.“ Sie gingen zur nächsten Box. „Luke hat mir ordentlich ins Gewissen geredet, aber ich habe ihm erklärt, dass Reiten meinen Blutdruck senkt.“
Sie grinste. „Und dies ist Checkers. Er ist ein lieber alter Kerl, Luke hat ihn seit seiner Kindheit.“ Es war ein großer schwarzer Hengst mit einer weißen Blesse auf der Stirn. „Neulich hatten wir hier Kinder zu Besuch, die noch nie ein echtes Pferd gesehen hatten. Luke hat ihm einen dieser Zappelphilippe auf den Rücken gesetzt, und Checkers hat nicht mal mit der Wimper gezuckt. Das würdest du auch nie tun, nicht wahr, mein Guter?“
„Kann ich ihn reiten?“
„Klar.“
Es fühlte sich weder mutig noch riskant an, wieder im Sattel zu sitzen, sondern ganz selbstverständlich. Hätte sie jetzt ein Messgerät am Handgelenk, würde der Blutdruck hübsch sinken, so entspannt war Ava auf einmal. Sie spürte festen Halt unter den Füßen, spürte, wie sich ihr Becken rhythmisch bewegte, und bald passierte das, was immer geschah, wenn sie auf einem Pferderücken saß: Es klärte ihre Gedanken, löste den Wust an Sorgen, Ängsten und Zweifeln einfach auf.
Und dann blieb sie doch über Nacht. Lily und sie sahen sich einen Mädchenfilm an und naschten Schokolade. Ava schlief wie ein Stein, und als sie am nächsten Morgen ausgeruht aufwachte, ritten sie wieder aus.
Nach dem Frühstück fuhr sie nach Hause.
Beschwingt irgendwie und gleichzeitig ruhig.
Endlich konnte sie nachdenken. Ehrlich sein zu sich selbst.
James hatte recht gehabt und Marco auch.
Depression war eine tückische Krankheit, umso mehr, wenn der Betroffene sie nicht wahrhaben wollte. Brach man sich den Arm, war es für jedermann sichtbar, aber wenn die Seele brach, ließ sich das besser verheimlichen. Natürlich hatte sie es nicht wahrhaben wollen, hatte es scharf zurückgewiesen, wenn James auch nur eine Andeutung machte. Und als er hartnäckig blieb, reagierte sie wütend.
Irgendwann gab sie auf.
Sie gab so vieles auf. Aß Gemüse, das viel Folsäure enthielt, dafür keinen rohen Fisch und keinen Rohmilchkäse, nur für den Fall der Fälle, dass sie schwanger wurde. Und sie hasste es, wenn James einen Camembert in den Ofen schob und den geschmolzenen Käse mit Genuss verzehrte. Und als er es an dem Abend nach ihrer letzten Fehlgeburt tat, hatte sie James gehasst und ihn nach einem tränenreichen Streit aus dem Ehebett verbannt. Er schlief auf dem Sofa, und dabei war es geblieben.
Zum ersten Mal versetzte sie sich in seine Lage und sah jene Zeit aus seiner Sicht.
James hatte nur versucht, sie zu trösten, hatte etwas zu essen gemacht, das sie früher – vor den Schwangerschaften – für ihr Leben gern gegessen hatte. Wenn sie es sich zu zweit auf dem Sofa gemütlich machten, sich den Camembert teilten, knuspriges Brot dazu aßen und ein Glas Rotwein tranken. Ihm war einfach nicht in den Sinn gekommen, dass er sie damit verletzen könnte, weil ausgerechnet dieser Käse noch betonte, dass sie nicht mehr schwanger war.
Ava holte die Fotoalben aus dem Regal, betrachtete die Hochzeitsfotos und alle anderen aus den letzten Jahren. Und ihr fiel auf, wie ihr Lächeln mehr und mehr verblasste, wie die Kluft zwischen ihr und ihrem Mann breiter wurde. Es waren nur kleine Anzeichen, vielleicht nicht auf den ersten Blick sichtbar. Von Lilys und Lukes Hochzeit gab es ein Bild, sie mit James auf dem Sofa, er hatte den Arm um sie gelegt. Steif saß sie neben ihm, und jetzt erinnerte sie sich wieder an den fürchterlichen Streit in der Nacht zuvor.
Und dann Mia und Luca, die strahlend verliebt waren, während sie und James nebeneinander standen, als hätte jemand eine Panzerglaswand zwischen sie gestellt. Seite um Seite blätterte sie um, und mit jedem Foto wurden Erinnerungen wach.
Lächelnd betrachtete sie die Aufnahme von sich mit Hayley und Tom. Auch an jenem Tag
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