Aeternum
darüber entscheiden, ob Roman lebte oder starb.
Schließlich blieb Jul vor ihr stehen, und wieder glaubte sie Mitleid in seinen Augen zu lesen, als er sie ansah. »Ich denke, er hat tatsächlich eher gemeint, dass er für das Seelenheil deines Bruders sorgen wird. Alles Irdische ist vergänglich, nur die Seele zählt. Allerdings …« Zwischen seinen Brauen bildete sich eine steile Falte. »Es würde bedeuten, dass er dich absichtlich in die Irre geführt hat. Er muss gewusst haben, was du glauben würdest. Das ist zwar keine Lüge, allerdings sehr nah dran. Er rutscht auf den Pfad der Dämonen, aber ich verstehe nicht, warum.«
Michaels Gründe kümmerten Amanda herzlich wenig. Sie sah Roman vor sich, wie er ohne Hoffnung in seinem Sessel saß, in seinem goldenen Käfig. Er würde dort sterben. »Verdammtes Arschloch! Roman glaubt doch nicht mal, dass er eine Seele hat!«
Als sie aufsah, blickte sie in Juls blaue Augen. Er holte tief Luft. »Es tut mir leid.«
Amanda stieß ein bitteres Lachen aus. »Es tut dir leid? « Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, nicht sicher, ob die unterirdische Kälte sie frösteln ließ oder die Erkenntnis, dass sie das Leben ihres Bruders einem Wesen anvertraut hatte, das kein Gewissen besaß und nur der Seele überhaupt irgendeinen Wert beimaß. »Warum sollte dir leidtun, was mit meinem Bruder passiert?«
»Weil ich nicht bin wie die anderen Engel.«
Sie starrte ihn an, diese Gestalt in der zerfetzten Jeansjacke mit der lächerlichen verbogenen Eisenstange in der Hand, über die blaue Flammen züngelten. War das ein schlechter Witz? Machte es ihm Spaß, ihr eine Hoffnung zu nehmen, nur um am Horizont mit einer neuen zu winken?
Jul räusperte sich, ballte die freie Hand zur Faust und schob sie in seine Hosentasche, als wollte er seine Finger davon abhalten, seine Unruhe zu verraten. »Du hast gefragt, was ein Erzengel einem Engel versprechen könnte. Michael hat versprochen, mir etwas zurückzugeben, das er mir zuvor genommen hat.«
Aus zusammengekniffenen Augen musterte sie ihn. »Er hat dir etwas genommen? Wieso? Hast du was angestellt?«
Ein schiefes Lächeln huschte über Juls Gesicht. »Das trifft es ziemlich genau.«
Amanda verschränkte die Arme vor der Brust. Sie konnte wegen Michael für den Moment nichts unternehmen, aber sie konnte versuchen, neue Verbündete zu finden. Und derzeit war sie bereit, sich an jeden Strohhalm zu klammern. »Da bin ich ja mal gespannt.«
Mit gequälter Miene lehnte sich Jul neben ihr an die Wand, achtete dabei darauf, das improvisierte Flammenschwert möglichst weit von ihr wegzuhalten. »Das ist das erste Mal, dass ich jemandem davon erzähle. Ich hoffe, du weißt das zu würdigen.«
»Ich fühle mich geehrt.« Sie konnte den Spott nicht ganz aus ihrer Stimme heraushalten. Sie wusste, nur die Umstände trieben ihn dazu, sich ausgerechnet ihr anzuvertrauen. Sie hatten dasselbe Problem, und wahrscheinlich hoffte er genauso auf einen Verbündeten wie sie. Nun, sie würde ihm gerne helfen, Michaels Pläne und Beweggründe herauszufinden, wenn er ihr im Gegenzug bei Romans Befreiung half. Am besten, sie bot ihm genau das später an.
»Vielleicht hilft es dir ja, ein bisschen besser zu verstehen, wie Engel denken.«
Sie hob die Schultern. Konnte er nicht einfach anfangen zu erzählen?
Jul räusperte sich. »Nachdem der Herr fort war, waren einige von uns der Meinung, sein Verschwinden sei eine Prüfung. Wir müssten nur lange genug warten, treu bleiben, dann käme er wieder. Wir hatten ja immer noch all die festgesetzten Regeln, konnten neue Befehle aus seinen alten ableiten …«
Bevor sie es verhindern konnte, kam ein trockenes Lachen über Amandas Lippen. »Wie Menschen, die die Bibel interpretieren.«
Er seufzte. »Ich schätze, das trifft es. Nur dass wir noch verlorener waren. Wie gesagt, wir konnten … können nicht zwischen Richtig und Falsch unterscheiden, wie ihr es tut. Wir hatten nur die Logik und einen Haufen alter Worte. Aber nur wenige von uns sahen darin ein Problem.«
Immerhin ein paar. Doch diese Bemerkung verkniff sich Amanda. Sie wollte ihn nicht schon wieder unterbrechen.
»Es gab einige wenige, die argumentierten, dass der Herr von uns erwartete, ohne ihn zurechtzukommen. Wir mussten in der Lage sein, über unser eigenes Schicksal zu bestimmen, ohne zu werden wie die Gefallenen. Diese Gruppierung sah unsere Rettung im Baum der Erkenntnis. Ich war einer von ihnen.«
Jul zog die Wasserflasche aus
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