Aeternum
Dunkelheit. Kies rollte aus dem Tunneleingang über den Betonboden der Rampe. Dann verstummte das Rumpeln, wurde abgelöst vom Kollern kleiner Steine und schließlich von staubiger Stille.
»Scheiße.« Amanda trat wieder ein Stück vor, leuchtete in den Tunnel. Ein Stück weit konnte man noch immer hineinkriechen, genauso weit, wie die Bunkerwand dick war. Danach blockierten Erde und Steine den Weg. »Ich hoffe, wir ersticken nicht hier unten. Und ich hoffe echt, wer auch immer diesen Tunnel gebaut hat, will uns nicht tot sehen.« Sie grub die freie Hand in ihr Haar, und die Tattoos an ihren Schläfen blitzten violett im Licht des blauen Feuers. Die steile Falte zwischen ihren Brauen, der harte Zug um ihren Mund spiegelten Juls eigene Gefühle.
Gern hätte er ein paar beruhigende Worte gesprochen, doch die Last all der Erde über ihm schien ihm die Luft aus den Lungen zu pressen. Er hasste dieses neu erwachte Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, das Gefühl, dass bald alles ein schmerzhaftes, grausames Ende finden könnte. Wie kamen die Menschen nur ihr Leben lang damit zurecht?
Jul schüttelte den Kopf, räusperte sich. »Runter«, entschied er. Bisher hatte ihr Weg sie nur nach unten geführt, das würde sich nun kaum ändern. Er schob die Pistole wieder unter seine Jacke, um zumindest eine Hand frei zu haben. Dann setzten sie sich in Bewegung, folgten der Rampe, die sich wie ein Treppenhaus immer weiter in die Tiefe wand.
»Was du vorhin über Engel und Mitleid gesagt hast …« Amanda klang heiser. Jul wandte sich zu ihr um. Wieso interessierte sie dieses Thema so sehr?
»Was ist damit?«
»Wie war das gemeint? Könnt ihr kein Mitleid empfinden oder was? Wieso hast du dann vorhin versucht, dem Mann zu helfen, wenn er dir doch scheißegal sein könnte?«
Kurz glaubte Jul erneut den Apfel auf der Zunge zu schmecken, doch dann drängte er die Erinnerung beiseite. Das würde er ganz sicher nicht mit einer Dämonendienerin diskutieren. »Ich glaube nicht, dass das im Moment wichtig ist.«
»Ich würde es aber gern wissen. Oder ist das geheim?« Anspannung lag in ihrer Stimme. Jul begegnete ihrem Blick und stockte. Irgendetwas loderte darin. Verzweiflung?
Er hielt mitten auf der Rampe an, und Amanda blieb ebenfalls stehen. Langsam trat er einen Schritt auf sie zu, musterte sie im blau flackernden Licht. Ihre Haltung war gerade, selbstbewusst, die Miene hart, undeutbar. Doch hinter ihren Augen klaffte ein Abgrund.
»Was ist los?« Genau das Gefühl, von dem Amanda soeben festgestellt hatte, dass er es nicht empfinden dürfte, drängte die Worte über seine Lippen. Es half längst nichts mehr, sich daran zu erinnern, was sie war.
Sie holte tief Luft, berührte eine Stelle über ihrem Herzen. Ein Talisman unter ihrer Kleidung? »Michael hat mir etwas versprochen, und ich muss wissen, ob er vorhat, sich in der Art daran zu halten, wie ich dachte.«
Michael hatte mit ihr eine Abmachung getroffen? Jul versteifte sich. Vertraute der Erzengel ihm so wenig? »Was hat er dir versprochen? Was sollst du dafür tun?«
Amanda verschränkte die Arme vor der Brust. »Beantwortest du meine Frage nun oder nicht?«
Konnte man mit dieser Frau kein normales Gespräch führen? Ständig musste sie um Informationen feilschen. Nun gut, sie hatte in letzter Zeit wohl nicht sonderlich viele positive Erfahrungen gemacht. Jul seufzte, suchte nach einer Antwort, die möglichst wenig über ihn selbst verriet. »Engel wurden dafür geschaffen, Befehle zu befolgen, ohne sie zu hinterfragen. Sie haben nie gelernt, selbst zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden. Im Gegensatz zu euch haben sie nie vom Baum der Erkenntnis gegessen.«
Amanda runzelte die Stirn, und Jul suchte frustriert nach einem Beispiel, irgendetwas, das deutlich machte, was er meinte. Wie sollte er Gefühle oder deren Fehlen erklären, die er selbst nur halb verstand?
»Wir haben früher einfach getan, was der Herr uns befohlen hat«, versuchte er es noch einmal. »Dabei waren wir genauso glücklich, eine ganze Stadt zu vernichten wie eine frohe Botschaft zu überbringen. Es hat keinen Unterschied gemacht, es war doch alles Teil des göttlichen Plans. Man kann kein Mitleid empfinden, wenn man nicht versteht, was Unrecht ist.«
Nun wurde sie blass. Na endlich. »Und du willst sagen, Michael versteht das immer noch nicht?«
Jul nickte, hoffte, dass sie mit diesem Gedanken zu beschäftigt war, um zu erkennen, dass er selbst nicht ins Bild passte. »Was hat er
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