Aetherhertz
zwischen den Steinen hervor und wand sich in einem kleinen Rinnsal bergab. Annabelle folgte diesem Bächlein eine Weile, dann kniete sie sich am Ufer hin.
Paul sah sich um. Er konnte hier nichts Besonderes entdecken. Die Tannen brausten und knarzten. Es war kalt und er machte sich Sorgen um Annabelle, die plötzlich wieder aufstand und weiter dem Bach folgte. Sie schien ihn nicht wahrzunehmen.
An einer Stelle, die sich für ihn nicht von anderen unterschied, hielt sie wieder an. Sie beobachtete etwas. Er sah nichts. Als ihm schon fast die Geduld ausging, sprang sie plötzlich mit einem Aufschrei ins Wasser. Paul erschrak: Das Wasser war hier nicht tief, aber sie schien Schwierigkeiten zu haben. Sie stolperte und schluchzte. Er versuchte sie aus dem Wasser zu holen, aber als er den Bach betrat, verlor er das Gleichgewicht. Sein linker Fuß schien in etwas stecken geblieben zu sein. Er drehte und wendete sich, aber er konnte ihn nicht befreien. Er hörte ein Platschen, das sich langsam entfernte. Er riss und zog mit aller Macht, und als er seinen Fuß befreit hatte, konnte er Annabelle nicht mehr sehen.
Er lief den Bach entlang und suchte sie. Es war unmöglich, dass sie in der kurzen Zeit verschwunden war! Er lief und lief, bis ihm schließlich der Schmerz in seinem linken Bein auffiel. Er hielt an und lauschte. Außer den Geräuschen des Waldes hörte er nur sein eigenes Atmen. Das konnte nicht sein! Er hatte nur einen Moment weggesehen, sie konnte nicht so schnell verschwunden sein! Es war einfach nicht möglich! Das Bachbett war nicht breit genug, um sie zu verbergen. Es gab hier kein Unterholz, das sie verstecken könnte. Nur die schwarzen Tannen und der nadelbedeckte Waldboden.
Er sah sich verzweifelt um.
“ Annabelle!“, schrie er so laut er konnte. Aber ihm antwortete nur der Wind. Er drehte sich um sich selbst. Es war merkwürdig: Wenn er jetzt den Weg zurückschaute, dann erkannte er, dass der Bach nur ein Rinnsal war, das über kahle Steine gluckerte. Er hätte schwören können, dass die Ufer weiter oben mit Pflanzen bewachsen gewesen waren, mit blühenden Blumen sogar. Aber es war Winter! Das war unmöglich. Genauso unmöglich, wie Annabelles Verschwinden.
Er erschrak über den Gedanken, dass sie irgendwo im Wald herumirrte, in ihrem Zustand. Vielleicht hatte er etwas übersehen? Vielleicht war er an ihr vorbei gelaufen? Ohne sich um seinen Fuß zu kümmern, drehte er um und verfolgte den Bach zurück zur Quelle. Keine Spur von Annabelle. Keine Spur von Pflanzen oder Blumen. Als ob es ein anderer Bach wäre.
Er setzte sich auf den Stein, auf den sie sich kurz zuvor gesetzt hatte, und untersuchte seinen Fuß. Der Knöchel war schon angeschwollen. Er zog den Schuh nicht aus, da er Angst hatte, ihn nicht mehr an zu bekommen. Er war unschlüssig. Dann kam ihm eine Idee: Was, wenn Annabelle wieder zurück zum Haus gelaufen war? Er sah sich um. Alles hier sah gleich aus. Bäume, Steine. Aber er hatte keine Wahl. Er konnte nicht hier sitzen, bis es dunkel wurde. Das machte keinen Sinn. Er würde zum Haus zurückgehen und eine andere Möglichkeit finden. Er stand auf und zuckte zusammen, als ein scharfer Schmerz durch seinen Knöchel fuhr. Er biss die Zähne zusammen und machte sich humpelnd auf die Suche nach dem Weg zurück zum Haus.
Es dauerte lange, bis er ankam und er hatte die Hoffnung, dass Annabelle vor ihm da war. Aber das Haus war leer, bis auf Sissi, die ihn stürmisch begrüßte. Er versorgte seinen Knöchel und ging dann noch einmal nach draußen, um nach den Pferden zu sehen. Oberon und Titania wurden bei seinem Anblick sehr unruhig. Oberon schlug mit den Hufen gegen seine Boxenwand, bis Paul ihn schließlich auf die Weide ließ. Dort galoppierte er buckelnd über die Wiese bis zum Zaun, der an den See grenzte. Er witterte mit hoher Nase und wieherte lang und laut. Schließlich lief er unruhig am Zaun entlang hin und her.
Paul ließ den Stall offen und schichtete Heu in die Raufen.
Im Haus zurück setzte er sich kurz auf den Sessel, in dem er Annabelle heute Morgen gefunden hatte, und beobachtete den See. Von hier aus konnte er auch Oberon sehen, der immer noch keine Ruhe gefunden hatte. Sissi setzte sich neben ihn und winselte.
Verdammt! Er musste etwas tun! Er sagte sich immer wieder, dass er mit seinem Fuß nicht laufen sollte, aber es kostete ihn eine fast unerträgliche Willenskraft, hier so zu sitzen und zu warten. Wenn Annabelle nun doch etwas zugestoßen war, und auf jeden
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