Aetherhertz
*
Das Telefon klingelte. Burger schreckte auf. Er war in dem Sessel eingeschlafen. Seine Schulter und andere Körperteile, die er geprellt hatte, schmerzten höllisch. Mühsam stand er auf und ging in den Flur.
„ Burger bei Rosenherz“, meldete er sich.
„ Karl? Bist du das? Hier ist Wilhelm Scharenburg. Ich sollte dich unter dieser Nummer anrufen.“
Karl Burger freute sich. Scharenburg war ein hoher Beamter in Baden-Baden. Er kannte ihn noch aus Studienzeiten. Er wartete schon lange darauf, dass er sich meldete.
„ Wilhelm, ich freue mich. Ja, ich bin es, Karl. Hör zu, ich brauche mal deine Expertise.“
Burger erzählte Scharenburg von seinem Verdacht.
Am nächsten Tag saßen sie zusammen beim Mittagsmahl im Restaurant „Zum Löwen“.
„ Ich befürchte, du hat recht“, sagte Scharenburg und tupfte sich den Mund ab. Die Leberknödelsuppe war exzellent hier. Der große Mann mit dem Seitenscheitel und dem prächtigen Schnurrbart lehnte sich zurück und sah sich um. Dann sprach er leise aber deutlich weiter.
„ Die Machtverhältnisse sind schwierig. Zunächst hat man ja die Verdorbenen wie normale Gefangene behandelt. Oder auch in Kranken- oder Irrenhäusern behandelt. Man dachte noch, es wäre Heilung möglich. Erst nach ein paar Jahren wurde der Zusammenhang klar. Der Æther, dieser Treibstoff des Wohlstands für einige von uns, ist für andere eine Seuche. Aber er ist nicht mehr wegzudenken. Was wäre mit all den Luftschiffen? Wie viel mehr Kohle bräuchten wir, um die Industrien anzutreiben und das Militär möchte auch nicht mehr auf seine neuen Waffen verzichten. Es werden täglich mehr Dinge, die mit Æther funktionieren.
Aber was ist mit denen, die ihn fördern? Sie werden zu oft allein gelassen, bleiben ungeschützt und haben keine Wahl. Sie bezahlen den Preis für unseren Komfort und Fortschritt.“
Dr. Burger nickte und war überrascht. Er hatte Wilhelm in der Studentenzeit als einen etwas weichlichen jungen Mann kennengelernt, der sich nie in den Vordergrund gespielt hatte. Seinen hohen Posten hatte er sicher durch harte Arbeit erreicht. Dabei konnte man sich aber oft keine Meinungen leisten. Hier dagegen zeigte sich ein Mann, der sehr wohl eine Meinung hatte, und sie auch eloquent vortrug.
Gleichzeitig wurde ihm wieder einmal klar, dass er sich selbst bisher kaum Gedanken gemacht hatte. Bei seinen Reisen hatte er viele Formen der Armut kennengelernt. Hier in Baden-Baden schien es keine zu geben, aber er hatte eben einfach nicht genau genug hingesehen.
„ Wie auch immer“, fuhr Wilhelm fort. „Seit einigen Jahren hat das Militär einen großen Einfluss auf den Umgang mit den Verdorbenen genommen. Als man die ersten Soldaten in die Armutsviertel schickte, um dort die Aufständler zu fangen, oder als man die gefährlichen Verdorbenen über den Haufen schießen ließ. Hier in Baden-Baden ist das ja alles noch recht harmlos, will ich mal sagen. Aber weiter am Rhein, da gibt es Landstriche, die sind Sperrgebiet. Militärisch abgeriegelt, weil es zu gefährlich geworden ist, dort zu wohnen oder auch nur spazieren zu gehen.“
„ Davon habe ich gehört. In Köln ist die halbe Innenstadt unbewohnbar.“
„ Alle Städte, die am Rhein liegen, sind betroffen. In Karlsruhe ist der Hafen kaum benutzbar.“
„ Umso wichtiger ist die Luftschifffahrt geworden. Da beißt sich dann die Katze in den Schwanz. Wir sind vom Æther abhängig.“
Wilhelm nickte. Die Kellnerin kam mit dem Hauptgang. Die Forelle sah köstlich aus. Dr. Burger war mit seinem Rahmgeschnetzelten mit Spätzle auch zufrieden. Er hätte die Forelle auch gar nicht mit einem Arm zerteilen können. Sie aßen eine Weile stumm.
„ Um auf deinen Verdacht zurückzukommen“, sprach Wilhelm irgendwann weiter. „Ja, der Adlerhorst wird vom Militär betrieben. Und ja, er bekommt auch viel Geld von der Stadt. Und noch mal: Ja, ich bin mir nach gründlichem Nachdenken auch sicher, dass dort nicht alles mit rechten Dingen zu geht.“
„ Wilhelm, ich glaube, dass jemand Einfluss auf die Geschehnisse nimmt.“
„ Hast du einen Verdacht?“
„ Ich glaube, dass Depuis dahintersteckt.“
„ Der französische Ganove? Was für ein Interesse sollte der haben?“
Karl schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Er arbeitet auch nicht allein. Ich glaube, er arbeitet mit dem Hartmann zusammen.“
Wilhelm zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Welchem Hartmann? Ich kenne keinen Beamten namens Hartmann.“
„ Kein
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