Aetherhertz
besser üben als in Baden-Baden, wo er immer weit herausfahren musste.
Plötzlich traf ihn etwas am Nacken. Er erschrak und fühlte dann, wie es ihm eisig in den Hemdkragen tropfte: Annabelle hatte ihm einen Schneeball an den Hals geworfen! Sie klaubte schon Schnee für einen weiteren Anschlag zusammen, was ihr aber schwerfiel, denn sie krümmte sich vor Lachen.
„ Na warte!“, rief Paul und wollte das Käuzchen landen, um sich zu rächen. Sissi rannte ihm bellend um die Füße. Plötzlich blieb Annabelle stehen. Sie hielt eine Hand hoch und lauschte.
Nun hörte Paul es auch: Ein Pferd wieherte panisch. Er sah sich um. Auf der Wiese konnte er den weißen Körper von Titania erblicken, die aufmerksam mit angelegten Ohren zur anderen Seite der Koppel blickte. Er folgte ihrem Blick und lenkte sein Käuzchen dorthin. Im Licht des kleinen mechanischen Vogels erkannte er Oberon, der panisch in ihre Richtung galoppierte. Auf seinem Rücken saß etwas, ein schwarzer, unförmiger Schemen. Blut glänzte an der Flanke des Pferdes, dessen Augen das weiße zeigten.
„ Lauf ins Haus“, sagte er zu Annabelle, die wie versteinert da stand.
Annabelle zögerte, befolgte dann aber seinen Rat und rannte zur Terrassentür. Sie sprintete durch das Wohnzimmer in das kleine Zimmer daneben. Dort stand der Waffenschrank ihres Vaters. Mit zitternden Händen suchte sie den Schlüssel in seinem Versteck im Rachen des ausgestopften Wildschweinkopfes. Dann holte sie ihr Gewehr raus. Zur Sicherheit steckte sie auch noch eine Pistole in die Tasche. Im Herausrennen überprüfte sie, ob die Waffe geladen war.
Oberon flog gerade mit einem mächtigen Sprung über den Zaun. Paul hatte den Arm mit dem Handschuh hoch erhoben und das Käuzchen flog genau auf Oberon zu. Auf seinen Rücken konnte Annabelle eine große, schwarze, geflügelte Gestalt erkennen, die sich mit langen Krallen im Fleisch des Pferdes festhielt. Sie legte die Büchse an und zielte.
Aber es ergab sich keine Schussmöglichkeit. Oberon buckelte und schlug aus. Als das Käuzchen an der Kreatur vorbei flog und diese blendete, kreischte sie grell auf und zeigte dabei ein Gebiss mit nadelspitzen Zähnen in einer Hundeschnauze. Das Wesen breitete seine Flügel aus und stieß sich vom Rücken des Pferdes ab. Annabelle schoss. Der Rückstoß der Waffe prallte schmerzhaft in ihre Schulter. Das Wesen schrie laut und taumelte im Flug. Oberon rannte wild buckelnd weg.
Die schwarze Fledermauskreatur folgte dem Pferd. Oberon drehte sich um, stieg und schlug mit den Vorderhufen nach seinem Gegner. Paul rannte zu Annabelle und nahm ihr das Gewehr ab.
“ Geh zum Haus“, schrie er sie an. Sissi rannte bellend auf die Kämpfenden zu. Oberon wendete blitzschnell und trat mit den Hinterhufen aus. Die Kreatur flatterte unentschlossen auf der Stelle und schwenkte dann weg, genau auf den bellenden Hund zu.
“ Nein!“, schrie Annabelle, die sich umgesehen hatte.
Paul rannte los. Das Wesen streckte im Anflug seine mit langen und scharfen Krallen bewehrten Füße aus, um Sissi zu packen. Der Hund jaulte auf, als das Wesen ihn griff und hochhob, um mit seiner Beute davon zu flattern. Paul bremste nicht, sondern rammte den Lauf des Gewehres mit voller Wucht gegen den Kopf des fliegenden Albtraumes. Das Wesen ließ den Hund fallen und ging selbst zu Boden. Paul schlug noch einmal zu und hörte einen Knochen knacken.
Aber die Kreatur kümmerte sich nicht darum, flatterte fauchend noch einmal hoch und griff Paul an. Sie war fast so groß wie er, und er konnte erkennen, dass es einmal ein Mensch gewesen war. Der Körper war ausgemergelt und sehnig, seine Arme hatten sich zu Schwingen gewandelt, die versuchten, sich um ihn zu legen. Er ließ das Gewehr fallen, das ihm jetzt nichts mehr nutzte. Das Wesen bedrängte ihn im Handgemenge, die schwarzen ledrigen Schwingen peitschten seine Arme. Er sah in die gelben Augen, die nichts Menschliches mehr hatten; es hatte auch keine Nase mehr, nur Löcher mit einer Art Lappen davor.
Paul duckte sich und wich aus. Das Wesen schwang sich hoch und traf ihn mit einem klauenbewehrten Fuß. Erbarmungslos gruben sich die Krallen in seine Schulter. Der Angriff warf Paul um und er landete hart auf dem gefrorenen Boden. Sein Kopf dröhnte. Er versuchte sich mit seinen Armen vor den Krallen zu schützen, aber sie trafen ihn im Gesicht und an der Schulter. Es donnerte. Plötzlich ließ das Wesen von ihm ab, und Paul sah, dass Oberon zurückgekehrt war und mit
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