Aetherhertz
leicht, wie du dir das vorstellst!“, hielt Wissel dagegen.
Karl schritt erregt durch den Raum: “ Ich stelle es mir überhaupt nicht leicht vor! Was ich mir allerdings vorstelle, ist, was sie mit meinem Patenkind vielleicht schon alles gemacht haben. Und dann stelle ich mir vor, dass ich vielleicht allein mit meiner Elefantenbüchse dort oben mal für Ordnung sorge …“
Gustav Wissel hatte lang genug an verschiedenen Orten mit Soldaten zu tun gehabt und wusste solche testosteronbedingten Aussagen zu überhören.
“ Wir haben keine Beweise“, sagte er.
“ Und die Waffen? Wo sind die Ætherkanonen, die der Russe Depuis verkauft hat? Wo ist das Schiff, für das er die Kanonen gekauft hat?“
“ Wir müssen da auf die Untersuchungen der Polizei warten.“
Karl Burger raufte sich die Haare: “ Gustav: Macht es dich nicht auch wahnsinnig, dass du vielleicht keine Ahnung hast, was dort oben auf dem Adlerhorst wirklich passiert?“
Der General überlegte. “Karl, vielleicht hast du recht. Es erschütterte mich, dass ich mich sich so hinters Licht habe führen lassen. Offensichtlich weiß ich über die Vorgänge in diesem Komplex nicht so viel, wie ich eigentlich wissen sollte. Aber was stellst du dir vor?”
“ Gib mir ein paar Männer und lass mich nachsehen. Ich will nur wissen, dass es Annabelle gut geht. Ich hatte mit Scharenburg den Plan, eine Hygieneüberprüfung zu machen. Warum machen wir nicht eine offizielle Überprüfung der Sicherheit? Überzeugen uns vom Zustand der Mauern, der Klos für das Wachpersonal, der ordnungsgemäß geführten Journale für den Wachwechsel, den Zähnen der Wachhunde …“
“ Ich habe verstanden.“ Wissel nickte. “Gut. Aber es muss offiziell sein.“
Karl Burger nickte: “Danke Gustav.“
“ Keine Ursache.“
* * *
Annabelles Finger bluteten. Sie kratzte wie verrückt an ihrem Fenster den Kitt aus den Fugen. Vielleicht konnte sie ja eine der Scheiben einschlagen, und noch eine und die Holzleisten zerstören und dann die Gitterstäbe aus der Wand kratzen ...? Es war ihr egal, wie unwahrscheinlich das war. Sie hatte nur einen Gedanken – sie musste weg!
Das Gespräch mit dem Berichtiger war kurz gewesen. Er hatte ihr noch einmal einige Fragen zu dem Vorkommnis mit dem Verletzten gestellt, war dann abrupt aufgestanden und zur Türe gegangen. Die Tür war einen Spalt offen gestanden, sodass Annabelle mit anhören konnte, wie er zu jemandem draußen sagte: “Ohne Behandlung kann ich nichts machen. Sie wissen das. Es ist ja alles arrangiert.“
Sie konnte sich nur eine „Behandlung“ vorstellen. Das durfte nicht geschehen! Aber sie war hilflos, gefangen, und es war noch niemand gekommen, um sie zu retten. Sie hatte in ihrem Zimmer gewütet, bis zu erschöpft zusammengebrochen war.
Die Tür ging auf. Eine Schwester und der Wachmann.
„ Bitte“, wimmerte Annabelle entsetzt, „nicht! Lassen Sie mich doch gehen!“
Keiner antwortete ihr. Die Schwester sah sie an und Annabelle glaubte, Mitleid in ihrem Blick zu erkennen. Sie versuchte die Frau mit ihren Händen zu berühren, aber der Wachmann ging dazwischen. Beide sahen ihre blutigen Fingerspitzen und Annabelle ballte ihre Hände zu Fäusten. Ihr Herz klopfte wild. Sie wollte loslaufen, weg rennen, aber sie bekam keine Gelegenheit. Sie wurde durch Gänge geführt, Türen und Türen und Gitter und Schlösser, irgendwo ein Lachen, der Geruch nach Zimt, ach ja, es ist bald Weihnachten. Wie falsch das alles war! Das konnte nicht wahr sein, es musste jemand kommen und endlich erklären, das alles ein Fehler war, das sie unschuldig war, ganz normal, eine geliebte Tochter, eine geschätzte Mitarbeiterin, eine lebenshungrige junge Frau und vielleicht auch eine Braut.
Sie standen vor einer weiteren Schleuse. Die Schwester legte ihr einen Mantel um und zog sich selbst einen an. Dann betraten sie eine Gondel. Sie setzte sich um eine Kurve in Bewegung und Annabelle konnte erkennen, dass sie den Berg weiter hochfuhren. Wohin? Sie sah zurück auf den eingezäunten Komplex. Rundherum nur Wald. Hohe schwarze Tannen mit Schnee auf den Zweigen. Schließlich konnte sie das Ziel erkennen. Zunächst war es nur ein riesiger Platz, ein Plateau am Steilhang. Am hinteren Ende war ein gigantisches Tor in den Berg gesetzt. Die Gebäude, die rechts davon errichtet waren, sahen im Vergleich sehr klein aus. Alles war von einem riesigen mehrreihigen Zaun und Stacheldraht umgeben. Zwischen den Zäunen patrouillierten
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