Aetherhertz
Wachen mit großen Hunden. Weiter rechts hinter den Gebäuden schien es noch weitere Anlagen zu geben, aber jetzt fuhr die Gondel in die Endstation ein.
Annabelle und ihre Wachen stiegen aus und wurden sofort von dem eisigen Wind angegriffen, der hier oben wehte. Sie schlug die Kapuze hoch und folgte den beiden. Sie führten sie zu den Gebäuden neben dem riesigen Tor. Je näher sie kamen, umso größer erschien es, Annabelle schätzte es auf über 50 Meter in der Höhe und wesentlich breiter. Was konnte dahinter sein?
Als sie das Eingangsgebäude betraten, war es wieder sofort unheimlich still. Nach dem Brausen des Windes in den Tannen kam einem die Ruhe wie Watte in den Ohren vor. Annabelles Bewacher meldeten sich mit leisen Stimmen an. Alles war auch hier steril und weiß.
Die Angst, die sie kurzzeitig vergessen hatte, kam wieder. Ihr Bauch verkrampfte sich und sie würgte. Ihr Atem ging schneller und sie schluckte immer wieder trocken. Wieder durchquerten sie endlose Gänge und Annabelle versuchte sich abzulenken, in dem sie durch die kleinen Fenster in den Türen schaute. Meist sah sie nichts, aber aus einem Fenster schaute ein Gesicht zurück. Es war seltsam glatt, als ob das Wesen sein Gesicht gegen die Scheibe drückte, aber Annabelle erkannte, dass es fast keine Nase hatte. Das Geschöpf öffnete leicht den spitzen Mund und eine lange gespaltene Zunge tastete die Scheibe ab. Erschrocken schaute sie schnell geradeaus.
Schließlich wurde ein Raum aufgeschlossen, und nachdem man ihr den Mantel abgenommen hatte, war sie wieder alleine.
Sie hatte geschlafen. Es hatte nichts anderes zu tun gegeben. Nachdem sie noch eine Weile angespannt gewartet hatte, merkte sie, wie erschöpft sie war. Ihr Körper hatte nachgegeben und sie war in eine schwarze Bewusstlosigkeit gefallen.
Irgendetwas hatte sie geweckt. Sie ging zur Tür und versuchte zu erkennen, was auf dem Gang passierte. Viele Leute liefen hin und her, Wachen und Schwestern, schnell, aufgeregt. Was hatte das zu bedeuten? Die Unwissenheit machte sie wahnsinnig. Sie ging zum Fenster und schaute hinaus. Durch mehrere Zäune konnte sie auf ein Gelände sehen. Dort bewegten sich dunkle Figuren im Schnee. Die Dämmerung hatte eingesetzt und man hatte Scheinwerfer angemacht, die das Gelände punktuell beleuchteten. Immer wieder rannten Gestalten durch die Lichtkegel. Geduckt, manchmal auf zwei, manchmal auf vier Beinen. Sie konnte nichts hören und hatte nicht den blassesten Schimmer, was dort passierte.
Ihre Hand brannte. Es war wie eine Verbrühung, die Haut war empfindlich wie rohes Fleisch. Für einen kurzen Moment übermannte sie Selbstmitleid und ein Schluchzen schüttelte ihren Körper, dann blickte sie wieder starr aus dem Fenster, um Ablenkung zu haben.
Sie holten sie am nächsten Morgen. Sie war schon wach, man kann nicht dauernd schlafen. Sie war stumpf und leer, aber als die Türe sich öffnete, wusste sie sofort, dass sie sie wieder dorthin brachten, an diesen furchtbaren Ort, und ihr standen vor Entsetzen alle Haare zu Berge. Sie ging mit, sie hatte keine Wahl. In einem Vorraum saß ein Arzt und untersuchte sie gleichgültig. Es roch nach Desinfektionsmitteln und etwas Scharfem.
„ Trinken Sie das aus“, befahl er barsch.
Annabelle erschrak und fühlte sich wie geohrfeigt. Sie hatte sich bis jetzt nicht gewehrt und verstand nicht, warum er so mit ihr sprach. Sie suchte seinen Blick, als er ihr ein kleines Glas reichte, doch er wandte sich ab. Sie zögerte kurz, aber die Frau neben ihr berührte sie am Arm und sah sie streng an. Da trank sie. Es war ein Beruhigungsmittel, sehr bitter. Sie fühlte seine Wirkung schnell: Die Welt wurde einerseits glasklar, aber wie bei ihrem Blick aus dem Fenster war man weit weg davon. Sinneseindrücke wurden in einzelne Komponenten zerlegt – ein Geräusch, das Rascheln des steifen Stoffes gegeneinander; ein Geruch, Alkohol?; die Strahlen der Lampe, wie Lichtpfeile versuchten sie, die Schatten zu durchdringen ...
Die Zeit dehnte sich, bis schließlich die Tür zum Nebenraum geöffnet wurde und Annabelle die Wanne von außen sah. Sie wurde in den Raum gedrängt und ausgezogen. Langsam schwoll das Entsetzen in ihr an, aber es blieb folgenlos, ihr Mund öffnete sich, ohne zu schreien. Sie öffneten eine Tür in dem Glaskasten, der um die Wanne gebaut war, und schoben sie hinein. Innen gab es Gurte, die man ihr um die Füße legte, während sie versuchte, mit ihren vielen Händen (warum hatte sie so
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