Aetherhertz
dort neben einer seltsamen Steinstele in irgendeinem Dschungel. Er sah geistesabwesend in die Kamera, auf dem Kopf einen Tropenhelm, in der Hand ein Skizzenbuch.
Ja, küssen würde Paul sie auch gerne – morgens und abends und zwischendurch auch. Aber er schlug sich diesen Gedanken gleich wieder aus dem Kopf. Was sollte Annabelle Rosenherz an ihm finden?
* * *
Nach dem Essen stand Annabelle endgültig vor der schweren Entscheidung, was sie denn nun anziehen sollte. Sie beschloss, es schlicht zu halten und einen Rock mit einer taillierte Jacke in einem hellen Grünton zu nehmen. Die Jacke war mit kleinen Perlen verziert, die im Licht schimmerten. Das einzig Gewagte war ein zwischen grün und braun changierendes Korsett, das aufwendig gearbeitet war. Darunter eine hochgeschlossene schlichte weiße Bluse aus Seide, so fühlte sie sich nicht aufgetakelt.
Frau Barbara schnürte ihr das Korsett und plapperte dabei endlos glücklich vor sich hin.
„ Ich bin so froh, dass das Fräulein Johanna dich mitnimmt. Es wurde auch Zeit, dass du mal wieder was unternimmst, und dann gleich zur Freifrau von Strebnitz. Du musst dich gut benehmen, hörst du? Diese alten Adligen sind nicht für ihre Geduld mit den niederen Ständen bekannt.“
„ Frau Barbara, was redest du da? Du bist noch immer der Meinung, ein Adelstitel macht einen besseren Menschen? Ich habe die besten Menschen in Gemeinschaften getroffen, die solche Standesunterschiede nicht kannten. Es ist völlig unwichtig, wer du bist, wichtig ist nur, was du tust.“ Es fiel Annabelle schwer, solche Unterhaltungen zu führen, ohne sich sehr aufzuregen, und dann gestikulierte sie viel. Aber sie durfte sich nicht bewegen, da Frau Barbara sich viel Mühe mit ihrer Frisur gab.
„ Ach Kind, du schimpfst immer mit mir, dabei möchte ich doch nur das Beste für dich. Und wenn der Herr Professor nicht mehr wiederkommt, dann muss doch irgendjemand für dich sorgen!“
Aha, und das sollten dann die alten Adeligen tun? Annabelle verzweifelte an Frau Barbaras Logik immer wieder und wusste, was ihr Vater dazu gesagt hätte. Die Familie Rosenherz konnte mit Stolz ihre Herkunft weit zurück verfolgen bis ins frühe Mittelalter, aber adlig war sie nicht. Sie hatte mehr Geld als so manche Adelsfamilie, allerdings lag es in Immobilien, Land und Aktien fest.
„ Tust du das nicht? Frau Barbara, ich bin mir sicher, es wird sich bald eine Lösung finden. Nun bekommen wir ja erst mal Geld von der Stiftung. Papa wäre sicher zufrieden.“ Annabelle log, dass sich die Balken bogen, damit Frau Barbara endlich Ruhe gab. Der Professor würde die Wände hochgehen, wenn er wüsste, dass sein Kind von einer Stiftung abhängig wäre. Er war ein Freigeist und hatte seine Tochter auch zu einem erzogen. Wenn ich ein Junge wäre – dachte Annabelle, dann wäre alles kein Problem. Oder, wenn Papa einfach wieder zurückkäme.
„ Ich werde mich benehmen, das verspreche ich dir.“ Endlich war die Frisur mit schätzungsweise einem Kilo Haarnadeln befestigt. Annabelle gab ihrer Hausdame einen Kuss auf die Wange und ging nach unten, um sich einen passenden Hut auszusuchen.
Paul hörte jemanden die Treppe herunter kommen und rangelte mit der Schnauzerhündin. Die hatte etwas im Maul und knurrte ihn an, weil er es ihr wegnehmen wollte.
„ Was hat sie da?“, fragte das Fräulein Rosenherz.
Paul seufzte: “Ich bin mir nicht sicher. Ich befürchte, dass sie sich aus der Vitrine, die ich gerade katalogisiere, eine Puppe gestohlen hat.“
„ Ach herrje!“, rief Annabelle aus. „Sissi! Aus! Lass fallen!“ Der Hund gab aber sein Spielzeug nur widerwillig ab. Schließlich ließ sie ein unförmiges vollgesabbertes Bündel fallen.
Annabelle hob es mit spitzen Fingern auf: „Sie liebt diese Voodoopuppen! Papa meint, da sind sicher noch Hühnerblutreste drauf.“ Sie gab ihm die Puppe. „Böse Sissi – geh in dein Körbchen!“
Der Hund trollte sich eingeschnappt.
Paul sah Annabelle an. Er hatte gedacht, sie könne nicht besser aussehen, als vorhin bei ihrem gemeinsamen Essen. Aber das Grün dieses Kostümes passte noch besser zu ihren Augen, die belustigt funkelten, während sie ihrem Hund hinterher schaute. Sie hatte auch irgendetwas mit ihren Haaren gemacht. Paul war verwirrt und sah lieber auf das feuchte Lumpenbündel in seiner Hand.
„ Papa hat sie aus Haiti mitgebracht. Er sagte, damit würden die Houngans, das sind die Magier oder Priester der Voodouns, ihren Feinden über weite
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