Aetherhertz
der Bibliothek vor dem Kamin und blätterte in einem großen Buch, einem Fotoalbum.
Sie sah immer noch verwirrt aus. Paul war sich wieder nicht sicher, ob sie ihn erkannte. Plötzlich lächelte sie und deutete auf ein Foto. Paul erkannte den Professor und Burger – jünger und sonnenbestrahlt.
„ Wir fahren gleich zur Schurmhütte“, erklärte sie Dr. Burger. „Willst du nicht mitfahren, Onkel Karl?“
Der schüttelte den Kopf. „Das geht leider nicht.“ Zu Paul gewandt sagte er: “Warum begleiten Sie mich nicht kurz?“ Sie gingen auf die Terrasse, wo Dr. Burger sich eine Zigarette anzündete.
„ Es ist ein Verbrechen“, sagte er leise grollend.
Paul nickte nur.
Burger fasste ihn am Arm: „Kümmern Sie sich um Annabelle. Ich kümmere mich um den Rest.“
„ Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll“, gab Paul zu.
„ Sie lieben sie doch noch, oder?“
Paul nickte und rieb sich über das Gesicht.
„ Da wir nicht wissen, was sie mit ihr gemacht haben, wissen wir auch nicht, wie wir am besten mit ihr verfahren”, fuhr Karl fort. “Erfüllen Sie ihre Wünsche. Die Schurmhütte ist der beste Ort, an den Sie jetzt gehen können. Dort finden Sie Ruhe und Abgeschiedenheit. Annabelle kennt sich dort aus. “
„ Und wenn es schlimmer wird? Was tue ich dann?“
„ Hören Sie auf ihr Herz.“ Dr. Burger sah dem jungen Mann in die Augen. „Ich vertraue Ihnen.“
„ Ich hoffe nur, dass sie mir auch vertraut. Ich habe das Gefühl, sie kennt mich gar nicht mehr.“
„ Machen Sie sich keine Sorgen. Solange Sie damit leben können, dass sie Sie ab und zu für ihren Vater halten wird.“
„ Es gibt schlimmere Verwechslungen“, sagte Paul trocken. “Wenn ich ihr Vater wäre, dann würden sich die Leute wenigstens nicht das Maul zerreißen.” Burger lachte leise schnaubend.
„ Ich komme nach, sobald ich kann, und bringe Frau Barbara mit.“ Karl hielt Paul am Arm fest, als der wieder ins Haus gehen wollte: “Eins noch: Ich rechne Ihnen das hoch an, was Sie für sie tun.”
Paul nickte verlegen: “Im Moment habe er nicht das Gefühl, viel Nützliches zu tun.”
Es dämmerte fast schon, als sie endlich losfuhren. Paul saß mit Annabelle warm eingepackt in der Kabine. Auf Anraten des Stallburschen hatte er das Pferd des Professors noch mitgenommen um in der unbekannten Hütte selbst ein Reitpferd zu haben. Ein Junge namens Max ritt die Schimmelstute und führte Annabelles Rappen Oberon mit sich. Karl sah der Kutsche nach, als sie den Hof verließ und machte sich auf den Weg. Er musste dringend ein paar Leute besuchen.
* * *
Die Straße wand sich in Serpentinen den Berg hoch. Sie würden etwa sechs Stunden unterwegs sein, hatte Frau Barbara gesagt. Sie könnten es also noch vor Mitternacht schaffen. Trotzdem war so eine Kutschfahrt durch die Nacht im Winter ein enormes Wagnis und Paul war mulmig zumute.
Ab und zu konnten sie einen Blick von oben auf Baden-Baden werfen. Es war grandios. An den Alleen wurden die Gaslaternen entzündet und von hier oben sahen sie aus wie gelbe Perlen an einer Schnur. Ein roter Fesselballon, dessen Korb an allen vier Ecken beleuchtet war, schwebte auf den Fremersberg zu. Über der Oos fuhren die kleineren Luftschiffe, um Waren und Passagiere zu transportieren. Ihre Signallaternen vor dem dunklen wolkenschweren Himmel sahen wie ein glitzernder Jahrmarkt aus.
Annabelle saß neben ihm, dick in Pelze eingemummelt und summte vor sich hin. Sie schien gerade wieder nicht wirklich hier zu sein. Sissi lag zu ihren Füssen. Paul schloss die Augen und versuchte zu entspannen.
Er war wohl tatsächlich eingeschlafen, und als er die Augen öffnete, war es stockdunkel. Die Kutsche bewegte sich noch, allerdings sehr langsam. Der Kutscher hatte die Laternen angezündet, aber man konnte außerhalb des Lichtkegels nichts erkennen. Er spürte ein Gewicht auf seiner linken Schulter und bemerkte, dass Annabelle auch eingeschlafen war und sich dort anlehnte. Er drehte seinen Kopf zu ihr und roch den Duft ihrer Haare. Maiglöckchen. Frühling, grün, die ersten warmen Sonnenstrahlen ... all das empfand er bei diesem Geruch. Und hier, eingeschlossen in einem Kokon, auf der Suche nach Heilung, empfand er noch mehr: Trotzdem er völlig aus seiner vertrauten Umgebung gerissen war, fühlte er sich fokussiert, lebendig, voller Unruhe zwar, aber auch voller Möglichkeiten. Sein Herz öffnete sich weit für diese Zukunft. Hier und jetzt beschloss er, nicht locker zu lassen, um die Sache
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