Aethermagie
Miene erschien nun gar nicht mehr so fröhlich und voller Zuversicht wie sonst, und mit seinem grimmigen Ausdruck glich er umso mehr seinem schwarzhaarigen Bruder. »Wir finden ihn«, sagte er kurz. »Da lang, zieh den Kopf ein.« Der Durchgang war eng und niedrig. Kato folgte dem Roten und wartete, während er an eine Tür klopfte.
Sie betraten eine dieser kleinen Kammern, die eher einer Nisthöhle als einem Menschenzimmer glichen. Belpharion stand dort neben einer Frau, die der Tür abgewandt auf der Kante einer Liege saß. »Ich werde hier nicht herumsitzen und darauf warten, dass man uns überrennt«, hörte Kato sie schroff sagen. »Es geht mir gut und ich brauche die Linke nicht, um einen Revolver abzufeuern.«
»Du hast einen Schock«, hielt der Engel ihr entgegen. Er hob den Kopf und sah Milan und Kato an. Sein Blick war abwesend. Er nickte knapp. »Du solltest dich denen anschließen, die jetzt noch evakuiert werden.«
Die Frau lachte, aber es klang nicht heiter. Sie drehte sich ein wenig, und Kato konnte sehen, dass es dieselbe Frau war, deren Ankunft mit den Strottern sie beobachtet hatte. Die Armschlinge hing noch um ihren Hals, aber sie hatte den Arm daraus befreit und ihre Hand in ein Tuch gewickelt, das sie mit der anderen Hand umfasste, als müsste sie das verletzte Glied vor den Blicken der anderen schützen. »Ich bin kein Krüppel und ich weiß mich zu schützen«, sagte sie. Sie bewegte den Kopf und sah Milan, dann glitt ihr Blick zu Kato. Ihre Augen, in denen ein fiebriger Glanz stand, weiteten sich. »Ah«, sagte sie und blieb wie erstarrt in ihrer vorherigen Haltung sitzen.
»Major Nagy«, sagte Milan, »wie geht es … wie geht es Ihrer Hand?«
Kato schnappte nach Luft. »Das ist Major Nagy?«, entfuhr es ihr. »Sie waren das, die mich entführt und eingesperrt und in Angst und Schrecken versetzt hat?«
Die Frau seufzte. Sie drehte sich nun vollständig zu Kato um und wandte ihr das Gesicht zu. »Ich bin Katalin Nagy«, sagte sie, und ihre tiefe Stimme klang heiser. »Ich wusste nicht, dass du hier bist, Katharina.«
Kato bemerkte, dass ihr Herz einen oder zwei Schläge aussetzte. Sie kannte die Stimme, sie kannte das Gesicht, sie erinnerte sich an die Haltung des Kopfes und den Schwung des Kinns …
»Mama?«, fragte sie.
Die Fremde, die ihre Mutter war, senkte bejahend den Kopf. Ihre Hand glitt von dem Tuch, das sie um ihr linkes Handgelenk gelegt hatte, das Tuch fiel in ihren Schoß und Kato konnte das erkennen, was einmal Katalins Hand gewesen war.
Der Engel beugte sich schweigend über Katalins Schulter und legte das Tuch über ihren Arm. Er sah Kato an. »Ihr solltet gehen«, sagte er. »Wir werden versuchen, die Zuflucht zu halten, bis alle fort sind.«
Katalin hob den Kopf und widersprach ihm, fragte nach der Evakuierung. Kato folgte dem Disput der beiden nur mit halbem Ohr. Sie sah ihre Mutter an und sog jedes Detail ihrer Erscheinung auf wie ein Schwamm sich mit Wasser vollsaugt. So groß. So energisch in der Anmutung, trotz der Schwäche, die sie ganz offensichtlich wegen des Unfalls empfand. So entschlossen. Was war das nur, das mit ihrer Hand geschehen war?
Kato wandte sich an Milan und befragte ihn flüsternd. Der junge Mann knetete unbehaglich seine Hände. Sein offenes, freundliches Gesicht war überschattet von etwas, das wie Schuldgefühle wirkte. Er berichtete ebenfalls flüsternd von der Waffe, die er mit seinem Bruder entwickelt hatte – natürlich unter der Aufsicht von Professor Tiez, der entscheidende Hinweise zum Gelingen beigesteuert hatte – und von dem, was sie bewirken konnte. Den Unfall hatten sie nicht vorausgesehen, und er machte sich deswegen große Vorwürfe. Milan – der Schwarze – saß jetzt in der Versammlung des Rates, der auch der König der Strotter beiwohnte, und erklärte die Funktion der Ætherkanone und des Spleißers, mit dessen Hilfe sie Major Nagy – also Katos Mutter? Wirklich ihre Mutter? – aus der Falle befreit hatten, allerdings nicht, ohne ihre Hand …
»Was flüstert ihr?«, unterbrach der Engel Milans Bericht.
Der Rote verstummte und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
Katos Mutter stand auf und stützte sich mit der rechten Hand an der Wand ab. Sie war immer noch sehr blass, aber ihre Haltung brachte deutlich zum Ausdruck, dass sie nicht gedachte, sich in irgendeiner Weise gehen zu lassen. Ihr Blick, der weder Freude noch sonst eine erkennbare Gemütsregung zeigte, traf Kato. Sie nickte. »Dies ist kein
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