Aethermagie
aufgehalten, tief unter der Stadt, und die ganze Zeit gewusst, dass Kato, ihre Tochter, irgendwo über ihrem Kopf lebte und sie für tot hielt. Wie konnte
sie
das zugelassen haben? Warum hatte sie Kato nicht wenigstens ein Zeichen gegeben, ihr einen Brief geschrieben, sie irgendwohin bestellt, um sie in die Arme zu nehmen und ihr zu versichern, dass sie nicht im Mindesten tot war, dass keine Lawine sie verschüttet, kein Unglück sie aus dem Leben gerissen hatte! Wie konnte sie so gefühllos sein, einfach ein neues Leben zu beginnen und Kato hinter sich zu lassen wie ein abgelegtes Kleidungsstück?
Kato schniefte und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und die Nase. Sie war so wütend, so ungeheuer, unglaublich wütend! Sie trat gegen den unschuldigen Hocker, der mit einem lauten Poltern gegen die Wand flog.
Das Poltern fand ein Echo, einen lauten Schlag wie eine Explosion. Der Boden bebte. Dann hörte Kato Stimmen, die in den Gängen hallten und das dumpfe Geräusch von Schritten. Sie sprang auf. Etwas ging dort draußen vor sich, und es klang nach Aufregung und großer Besorgnis.
Sie lief zurück zum Hauptraum, und während ihre Füße beinahe selbstständig den Weg durch das verwirrende Gangmuster fanden, platzte ein Glücksgefühl in ihr wie ein gasgefüllter Ballon und ließ sie leicht und ein wenig schwindelig zurück: Sie war nicht mehr allein auf der Welt. Da war immer noch ihre Mutter, irgendwo hier, und sie lebte!
Die Unruhe, das Geräusch von Stimmen und Schritten nahmen zu, je näher sie dem Versammlungsraum kam. Sie fand den großen höhlenähnlichen Saal voller Mönche vor, die geschäftig und nicht sonderlich leise durcheinanderliefen, hantierten, miteinander diskutierten und sich offensichtlich mit Waffen und Munition ausrüsteten. Eine kleine Gruppe von Männern bahnte sich den Weg durch das Getriebe, sie trugen keine Kutten, sondern abgerissen und schmutzig wirkende Kleidung. Einer von ihnen, dessen rechter Arm am Ellbogen endete, lief vorneweg und redete währenddessen mit Pater Anselm. Dahinter folgten zwei kräftige Männer, die einen dritten stützten – nein, es war eine Frau, die sie mehr zwischen sich trugen, als dass sie selbst zu gehen in der Lage war. Sie schien halb oder ganz besinnungslos zu sein, ihr linker Arm war bandagiert und mit einer Schlinge am Leib fixiert, ihr Gesicht, von dem Kato nur einen kleinen Ausschnitt erkennen konnte, schien totenblass. Pater Anselm warf einen besorgten Blick auf die Frau, gab einem Mönch eine knappe Anweisung, und die Gruppe mit der verletzten Frau trennte sich von den anderen und folgte dem Mönch hinaus.
Kato atmete scharf ein, denn nun konnte sie einen Blick auf die anderen Mitglieder der Gruppe erhaschen und erkannte einen roten und einen schwarzen Haarschopf. Sie sprang ein Stück in die Höhe, riss die Hand in die Luft, rief: »Milan! Milan Milvus!«
Wieder ein Donnerschlag, der den Boden erzittern ließ. Welche Macht konnte den festen Erdboden erschüttern, in dem das Ordenshaus ruhte? Kato sah, wie die Zwillinge kurz stehen blieben und sich unbehaglich umschauten, aber dann weiter hinter den anderen Männern herliefen. Die Gruppe verschwand in einem der Durchgänge.
Kato überlegte nicht lange, sie lief hinter ihnen her. Die Brüder Milvus! Womöglich war auch Meister Tiez irgendwo hier? Sie konnte es kaum erwarten, wieder ein bekanntes Gesicht zu sehen, eine Stimme zu hören, die wie ein Gruß aus einer verlorenen Welt, aus einer unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit, zu ihr herüberklang.
Kato betrat den Gang, durch den die Gruppe den Saal verlassen hatte. Ein Durchgang führte in einen Raum, der weniger groß als der Versammlungsraum war, aber immer noch großzügig genug für die Gruppe von Menschen, die sich darin aufhielt. Stühle rückten, unterdrücktes Räuspern und Husten, Füßescharren. Die Männer, unter denen auch die Brüder Milvus sich befanden, nahmen auf den im Raum verteilten Stühlen Platz, während Pater Anselm immer noch mit dem einarmigen Mann ins Gespräch vertieft war.
Kato drückte sich in den Winkel neben dem Eingang und verschränkte die Hände ineinander. Dort saßen die Milvus-Brüder, die immer noch keine Notiz von ihr nahmen.
Der Einarmige winkte nun einem weißhaarigen, in zerlumpte Kleider gewandeten Mann, sich zu ihm und dem Pater Guardianus zu gesellen. Kato hielt die Luft an. Das war doch der Strotter, der sie und Jewgenij hierher geführt hatte! Wie war sein Name – Isidor. Waren
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