Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
Klage haben, aber sie fühlte sich fehl am Platz, wie ein Eindringling, und sie ahnte, dass das Fräulein Rosenherz das auch so sah.
Nicht zum ersten Mal verfluchte Alexandra ihren Vater für die Idee, sie hierher zu schicken. Am liebsten würde sie ihre Koffer packen und abreisen. Aber das kam nicht in Frage. Sie würde es mit Anstand und Würde beenden, das war sie ihm schuldig.
Sie wusste, dass er sie weggeschickt hatte, weil er krank war. Sie hatte es bemerkt, obwohl sie viel Zeit an der Universität verbrachte. Er hustete mehr als früher, und ihre Mutter hatte begonnen, kleine Dinge zu übernehmen, die er sonst gemacht hatte. Ihr großer Bruder Ilya war bei der Armee, und sie hatte eigentlich schon fast mit dem Studium aufhören wollen, um sich mehr um ihre Eltern zu kümmern, als ihr diese Reise angetragen wurde.
„Es ist ein Wunsch deines Vaters, Sascha”, hatte ihre Mutter gesagt. Sie hatte dabei aus dem Fenster gesehen und ihre Stickerei sinken lassen.
„Aber ich könnte euch hier helfen”, hatte Alexandra eingewandt.
Ihre Mutter hatte gelächelt, dieses Lächeln, welches man auf Heiligenbildern sieht, ganz leicht den Kopf geneigt, in bußfertiger Haltung, ein Lächeln, welches sagt: „Ich ertrage alles, ich beuge mich Gottes Willen”. Es machte Alexandra wahnsinnig, ihre Mutter so zu sehen. Immer ertragend, immer leidend. Sie war wunderschön in ihrem Leiden, und Alexandras Vater liebte sie dafür.
Ihr Vater, der einst als Jäger des Zaren mit Bären und Wölfen gerungen hatte, und jetzt immer schmaler und weniger wurde. Der sie weggeschickt hatte, damit sie das nicht mit ansah. Oder damit sie nicht im Weg war, eine weitere Last, die ihre Mutter tragen musste. Es schien eine gute Idee, sie hatte sich auf Baden-Baden gefreut. Auf eine praktische Arbeit. Sie hatte sich über Professor Rosenherz erkundigt, und war gespannt auf seine Sammlung gewesen.
Aber es war alles ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Zuerst diese verunsichernde Verwechslung und dann dieses wundervolle erste Gespräch mit einem gut aussehenden, gebildeten jungen Mann, der ihre Begeisterungen teilte, der sich für ihr Wissen interessierte und nicht nur für ihre Oberweite. Sie hatte ihre Sorgen vergessen und für ein paar Stunden gehofft, dass daraus mehr als ein Arbeitsverhältnis werden könnte. Er war so aufmerksam gewesen, so konzentriert.
Aber dann war Annabelle gekommen, sofort hatte sich alles nur noch um sie gedreht, und Alexandra hatte begriffen, dass ihre winzige Hoffnung umsonst war. Paul Falkenberg war einzig und allein an Annabelle interessiert, er war nur höflich gewesen.
Sie versuchte Annabelle nicht zu aufdringlich anzusehen, beobachtete sie aber aus dem Augenwinkel. Sie neidete ihr die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich bewegte, die Aura eines Frühlingswindes, der allerlei Gerüche von Wachstum und Werden mit sich bringt. Wenn sie den Raum betrat, drehten sich die Menschen nach ihr um, nur weil sie so lebendig war, ein Versprechen von Leichtigkeit und Schwung.
Neben Annabelle kam Alexandra sich noch steifer vor, als sie es normalerweise empfand. Sie war nicht gut im Umgang mit Menschen, und als ihre weiblichen Formen unübersehbar wurden, war es ihr noch schwerer gefallen, unbefangen zu sein. Sie spürte die Blicke der Männer und empfand es als Zumutung, sie fühlte den Neid der Frauen und zog sich auch von ihnen zurück. Aber egal wie sehr sie versuchte in den Hintergrund zu treten, wie schlicht sie sich auch kleidete und frisierte, es schien die Männer noch forscher und die Frauen noch bissiger zu machen.
Sie beneidete Annabelle. Paul Falkenberg war unglaublich kompetent und – das war am Schlimmsten: nett. Mehr gestand sie sich nicht zu. Sie durfte ihn nur ”nett” finden. Alles andere war verboten.
* * *
Annabelle zermarterte sich den Kopf, über was sie mit der Russin plaudern könnte. Alleine schon der Gedanke an 'plaudern' machte sie verrückt. Sie plauderte mit Johanna über Mode, Männer und die anderen Mädchen, das war leicht. Aber mit diesem Eiszapfen neben ihr konnte man nicht plaudern.
Sie atmete tief durch und startete trotzdem einen Versuch: „Gefällt Ihnen Baden-Baden?”
„Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, viel von der Stadt zu erkunden”, kam die höfliche Antwort. „Aber was ich bis jetzt gesehen habe, ist sehr schön.”
Ja, du hast dich die ganze Zeit mit meinem Verlobten amüsiert, schoss es Annabelle durch den Kopf. Aber sie lächelte und
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