Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
Bettgestell mit vielen Kissen, die von der Feuchtigkeit leicht modrig rochen, aber es war ihr Reich der Fantasie.
Sie las Paul den Brief vor.
„Woher kannte dein Vater Herrn Bader?”, fragte er.
„Das ist eine kuriose Geschichte, und auch sehr traurig”, begann Annabelle. „An dem Tag meiner Geburt kam fast zur gleichen Stunde, im gleichen Krankenhaus, noch ein Kind zur Welt: Das war Valentin Bader. Tragischerweise kam auch seine Mutter dabei ums Leben. Mein Vater und Rudolf Bader lernten sich in den schlimmsten Stunden ihres Lebens kennen und pflegten seither eine lose Bekanntschaft, obwohl sie sonst nicht viel gemeinsam hatten. Damals war Rudolf Bader Flussschiffer, heute ist er ein Industrieller: Ihm gehören die Bader-Æther-Werke.” Annabelle pausierte kurz, um diese Nachricht sinken zu lassen. Das war in einem weiten Umkreis die größte Æthergewinnungsfabrik und Rudolf Bader war zu einem der reichsten Männer des Landes Baden geworden.
„Ich kann mich an einzelne Nachmittage bei den Baders erinnern”, fuhr Annabelle fort. „An Ausflüge an den Rhein, der hinter dem Grundstück vorbei floss. Valentin war so dünn und schlaksig und hatte diese unglaublich abstehenden Ohren, die immer knallrot wurden, wenn er unsicher war. Wir haben Obst aus den Nachbargärten gestohlen und im hohen Gras die Nachmittage verträumt.
Aber das ist ewig her! Ich kann mich nicht entsinnen, wann ich das letzte Mal dort gewesen bin.”
Sie stand auf, lief ein paar Schritte und zupfte ein braunes Blatt von einer Pflanze. Was könnte Rudolf Bader wissen? War es wichtig? Wusste er vielleicht etwas über Papas Pläne? Vielleicht gab es dort einen Anhaltspunkt, einen Startpunkt – sie könnte endlich ihren Vater suchen!
„Und nun möchtest du gerne hinfahren?”, unterbrach Paul ihre Gedanken.
„Ich weiß nicht”, sagte sie nachdenklich. „Irgendwie schon. Was, wenn er tatsächlich etwas über Papa weiß.” Sie sah ihn an. In seinen Augen fand sie Verständnis, aber auch Sorge.
„Was?”, fragte sie.
„Du hast deinen Vater gerade für tot erklären lassen”, sagte er sanft.
Annabelle war verständnislos: „Aber das heißt doch nicht, dass ich auch nur für eine Sekunde glaube, dass er wirklich tot ist.” Sie konnte erkennen, dass all seine Energie auf sie gerichtet war, er konzentrierte sich voll und ganz auf ihr Wohlergehen. Trotzdem verstand er etwas völlig anderes darunter als Annabelle.
„Du verstehst mich nicht”, stellte sie traurig fest und zerkrümelte das trockene Blatt in ihrer Hand.
„Stimmt”, gab er zu.
Sie blickte ins Leere und fühlte sich plötzlich völlig einsam. Dieser Raum, in dem sie so viele glückliche Stunden ihrer Kindheit verbracht hatte, war ihr fremd. Sie war kein Kind mehr, aber was war sie? Sie wollte wieder Tochter sein, einen Vater haben, der ihr liebend und vertrauensvoll einen Schubs gab und sie spielen schickte. Sie wollte sich geborgen fühlen, und nicht abgelehnt, unsicher und fremd.
Warum konnte Paul nicht einfach alles stehen und liegen lassen, und sie begleiten? Ach ja, da war ja Alexandra …
„Ich werde fahren”, sagte sie trotzig und wandte sich von ihm ab.
„Warte doch ein paar Tage, bis ich Fräulein Sorokin eingearbeitet habe, dann kann ich dich begleiten.”
Sie schüttelte den Kopf: „Ich bin sicher wieder zurück, bevor du sie eingearbeitet hast.” Sie hörte ihn aufstehen und spürte ihn hinter sich. Er drehte sie um und sie roch den leichten Duft nach Moos und Maschinenöl, der ihn immer begleitete. Paul griff nach ihrem Kinn und hob es an, damit sie ihm in die Augen schauen musste. Sie schluckte.
„Ich schaffe das”, sagte sie trotzig. Wen versuchte sie, zu überzeugen? Die Wahrheit war doch: Sie wollte, dass er mit ihr ging. Aber sie wusste, dass sein Pflichtgefühl der Russin gegenüber das nicht zulassen würde.
Paul nickte: „Daran habe ich keinen Zweifel.” Seine Finger streichelten ihre Wange, aber sie wollte ihren Zorn über das Hindernis, welches die Russin für sie darstellte, nicht loslassen. Und wenn sie ihn, und damit auch sich selbst bestrafte, dann war das eben so.
„Ich gehe dann mal packen.” Sie drehte sich weg und presste die Hand an die Lippen. Sie wünschte sich so sehr, dass sie ihn küssen könnte, aber sie hatte Angst, sich zu verraten. Sie wusste nicht, ob sie es allein schaffte. Aber wenn sie es nicht versuchte, dann würde sie es nie erfahren.
* * *
„Du willst ganz allein fahren?”, fragte Johanna
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