Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
einen Elefanten aus einer Mücke machte: Es war ein Besuch bei einem alten Bekannten, der vielleicht etwas merkwürdig war. Aber Annabelle war früher immer mit ihrem Vater unterwegs gewesen; soweit Paul wusste, war sie nie allein gereist.
Auf dem Weg ins Büro redete er sich ein, dass es nur seine Liebe zu ihr war, dass er sie nur ganz egoistisch vermisste – alles war in Ordnung und in ein paar Tagen würde sie wiederkommen und dann …
* * *
Sie hatte so einen Hunger! Ihr Magen knurrte schon seit dem Aufwachen und sie hatte ihre Zimmertür geöffnet, um die Geräusche der Dienstboten beim Anrichten des Frühstücks zu hören. Während sie wartete, versuchte sie vergeblich, ein Buch zu lesen. Zum Glück hatte eine Nacht Schlaf ihre Gedanken etwas beruhigt, aber sie hatte immer noch das Gefühl, einen großen Fehler gemacht zu haben. Als Annabelle Johanna auf dem Flur hörte, flog sie fast über den Marmor zu ihr.
„Wo warst du gestern Abend?”, fragte ihre Freundin vorwurfsvoll.
„Ich habe versucht, den Bader zu heilen, und bin ohnmächtig geworden”, flüsterte Annabelle. Johanna griff besorgt nach ihrer Hand, aber Annabelle sagte schnell: „Ich muss dir später etwas erzählen, jetzt habe ich Hunger.”
Die Aussicht auf etwas zu essen ließ Annabelles Stimmung steigen. Natürlich war ihr vor dem Zusammentreffen mit Valentin mulmig, aber sie war gespannt, ob Rudolf Bader beim Frühstück sein würde. Zu ihrer Freude saß er mit Valentin am Tisch und erhob sich sogar bei ihrem Eintreten. Sie erkannte ihn kaum: seine Wangen waren nicht mehr so bleich, die Augen glänzten wach und er stand stabil auf seinen Füßen.
„Annabelle! Ich freue mich so! Sieh mich an: Es ist ein Wunder! Ich bin dir zu so viel Dank verpflichtet.” Er kam auf sie zu und umarmte sie lange. Über seine Schulter hinweg sah sie kurz zu Valentin, der mit einem neutralen Gesichtsausdruck aufgestanden war, und Johanna den Stuhl zurechtrückte. Rudolf Bader ließ sie los und geleitete sie zu ihrem Platz. Annabelle setzte sich und griff sofort zum Brotkorb. Es gab Honig!
„Ich bin sehr froh, dass es Ihnen gut geht”, sagte sie und verteilte die goldene zähe Flüssigkeit auf ihrem Brot.
„Es geht mir so gut wie seit Jahren nicht mehr”, sagte Rudolf Bader und schaufelte Rührei in sich hinein. Annabelle biss in ihr Brot und kaute. Sie fühlte Valentins Blick auf sich, war aber nicht bereit, dem zu begegnen.
Als der Teller leer war, legte Bader seine Gabel weg und wischte sich den Mund. „Ich werde wohl heute seit langen das erste Mal wieder in den Betrieb gehen können”, verkündete er zufrieden.
„Du solltest es nicht übertreiben, Vater”, sagte Valentin leise.
„Ich muss doch nach dem Rechten sehen.”
Valentin schüttelte den Kopf: „Es ist gerade extremer Tiefdruck, da arbeiten alle. Niemand wird Zeit für dich haben.”
Rudolf Bader rülpste in seine Serviette, trank dann einen großen Schluck Kaffee und machte eine abwehrende Geste: „Was redest du da? Ich bin der Chef, natürlich haben sie Zeit für mich.” Er nahm die Zeitung, die neben seinem Teller lag, und öffnete sie geräuschvoll.
Valentin presste die Lippen zusammen und schlug die Augen nieder.
Annabelle war die Situation unangenehm. Solch einen Tonfall war sie nicht gewohnt. Bader sprach mit seinem Sohn, als wäre der ein Angestellter. Sie sehnte sich fast nach dem Geplapper von Frau Barbara, in der warmen Küche, dem Geruch vom Gasherd in der Nase und frische Blumen auf dem Tisch, von draußen die Vögel und Sonnenlicht … Sie würde Rudolf Bader noch ausfragen und dann irgendwie schnell abreisen.
„Ich muss mit Otto sprechen”, erklärte sie Rudolf Bader. Johanna und Valentin sahen sie überrascht an.
„Gibt es ein Problem?”, fragte der Hausherr besorgt über die Zeitung hinweg.
Annabelle schüttelte den Kopf: „Nein, ich muss nur etwas mit ihm besprechen. Gibt es eigentlich wirklich keine Möglichkeit, das Haus zu verlassen?”
Rudolf Bader zog erstaunt die Augenbrauen hoch und ließ die Zeitung sinken: „Selbstverständlich kann man das Haus verlassen. Möchtest du denn schon abreisen? Das wäre aber schade. Ich habe dir doch noch so viel zu erzählen.”
Annabelle sah kurz zu Valentin, dessen Ohren, soweit sie sichtbar waren, eine feuerrote Farbe angenommen hatten: „Ich dachte, wegen der Sicherheitssysteme ... Aber natürlich müssen wir noch über meinen Vater sprechen. Haben Sie ein Telefon?”
Rudolf Bader nickte:
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