Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
sich vor den Spiegel, knöpfte seine Weste neu und kontrollierte seine Halsbinde.
„Wann wird Annabelle zurückkommen?”, fragte Frau Barbara und nahm eine Kleiderbürste in die Hand.
„Das weiß ich nicht”, sagte Paul und schlüpfte in sein Jackett. Frau Barbara begann, es mit energischen Strichen zu bürsten. Sie war so klein und dünn, und er versuchte es ihr leicht zu machen, indem er sich zu ihr hinunterbeugte.
„Das ist nicht richtig”, sagte sie ernst. „Sie sollten sie nicht so lange allein lassen.”
„Kennen Sie die Baders?”
„Natürlich!”, sagte sie fast vorwurfsvoll. „Ich war früher immer dabei, wenn Annabelle irgendwo hingereist ist. Ich könnte Ihnen eine Menge erzählen über meine Reisen mit dem Professor und seinem Kind, mit Schiffen und Kanus, mit Eisenbahnen und zu Fuß, auf Pferden, Kamelen, Elefanten, Eseln und einmal sogar auf einem Yak.” Wenn man sich die zierliche Frau so ansah, konnte man es kaum glauben. Aber Paul wusste, dass sie sehr unter den Ereignissen des letzten Winters gelitten hatte. Vorher hatte sie Annabelle und den ganzen Haushalt jahrelang fast allein versorgt. Viele Probleme und der Angriff eines Verdorbenen hatten die Hauswirtschafterin aber ins Krankenhaus gebracht, und sie hatte ihre ursprüngliche Kraft nicht wieder erlangt.
„Dann haben Sie doch sicher keine Sorgen, oder?”, fragte Paul.
Frau Barbara machte noch einen langen Strich mit der Bürste und legte diese dann zurück. „Rudolf Bader ist ein trauriger Mann”, sagte sie nachdenklich. „Er ist nie über den Tod seiner Frau hinweggekommen.”
Diese Aussage wunderte Paul und machte ihn noch neugieriger. Hatte Karl nicht so etwas Ähnliches gesagt? „Aber der Professor doch auch nicht?”, wandte er ein und folgte Frau Barbara, die in die warme Küche ging. Sie goss ihm einen Tee ein. Dankbar nahm er die Tasse und trank im Stehen.
Frau Barbara setzte sich an den Tisch und sah aus dem Fenster in den Garten: „Stimmt. Aber der Professor hat diese Trauer eingesperrt, in sich selbst und hat nicht darüber gesprochen.” Wie Annabelle gerade, dachte Paul. Die alte Frau sprach weiter: „Ich heiße das nicht gut, man muss über die Dinge sprechen, aber andererseits.” Sie stand unruhig auf, nahm ein Baumwolltuch und polierte den blitzsauberen Herd noch glänzender. „Der Bader hat seine Trauer zelebriert, wie einen Gottesdienst. Man konnte ihr nicht entkommen, sie war immer präsent. Der arme Junge.”
„Valentin?” Paul wurde immer neugieriger und sah auf seine Taschenuhr. Er hatte noch ein wenig Zeit, er nahm sie sich einfach.
„Ja, der war immer so dünn und scheu! Sein Vater hat ihn gar nicht wahrgenommen. Ich glaube, dass er unbewusst dem Sohn die Schuld am Tod seiner Frau gegeben hat. Aber so ist das Schicksal halt, und es war nicht richtig, das arme Kind so zu vernachlässigen. Ich meine, er hatte natürlich Kinderfrauen und so, aber die waren alle nicht die Richtigen.” Frau Barbara wedelte mit dem Poliertuch. „Man muss das Kind doch lieben, welches einem anvertraut wird, oder nicht? Aber ich weiß nicht, ob den Jungen jemand geliebt hat, so wie er es verdient gehabt hätte.”
Die Krankenschwester Helene Schreiber betrat die Küche: „Frau Barbara! Sie sollen hier nicht putzen.”
Die alte Hausdame drehte sich weg und sagte mürrisch: „Ach, sagen Sie mir nicht immer, was ich nicht zu tun habe! Was soll ich denn mit all dieser freien Zeit anfangen? Da komme ich nur ins Grübeln. Ich habe mich hier mit dem Herrn Paul unterhalten. Das werde ich ja wohl noch dürfen, oder.”
Die Krankenschwester nahm das Gebrumme professionell neutral: „Wie wäre es mit einem Spaziergang nach Lichtental? Die Narzissen blühen so wunderschön.”
Frau Barbara warf Paul noch einen strengen Blick zu, ließ sich dann aber abführen.
Paul sah aus dem Fenster, trank seinen Tee aus und überlegte, ob es möglich wäre, Annabelle einfach abzuholen. Er machte sich zunehmend Sorgen, dass es falsch gewesen war, sie gehen zu lassen. Andererseits hatte sie diese Zeit alleine vielleicht einmal nötig. Und schließlich wusste man nie, ob etwas von alleine wieder kam, wenn man es immer einfing.
Verdammt! Das ging ihm langsam gewaltig gegen den Strich! Er hasste es, Entscheidungen aufgrund von zu wenig Fakten nicht treffen zu können. Letztlich war es allerdings nicht seine, sondern Annabelles Entscheidung gewesen, und er hatte sich doch vorgenommen, das zu respektieren. Er redete sich ein, dass er
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