AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
sehen.
Der Zorn des Vaters bricht erst drei Tage später über Friedrich herein. Als er ein Rheinboot betritt, das die Reisegesellschaft nach Wesel bringen soll, stürzt sich der König auf seinen Sohn und schlägt ihn öffentlich, bis ein entsetzter Offizier dazwischentritt. Von nun an ist der Kronprinz „Arrestant“ und wird von einem starken Kommando in die Festung Wesel gebracht. Am nächsten Morgen dann das gefürchtete Verhör durch den König: „Warum habt Ihr entweichen wollen?“, fragt der Vater, als ob er nichts von dem seit Jahren schwelenden Konflikt wüsste. „Weil Sie mich nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen gemeinen Sklaven behandelt haben.“ Doch der Soldatenkönig scheint in Friedrich zuerst den preußischen Offizier und erst in zweiter Linie den Sohn zu sehen. Theodor Fontane beschreibt die Szene in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“: „Ihr seid nichts als ein feiger Deserteur, der keine Ehre hat.“ Friedrich ist es gewohnt, beleidigt zu werden. Die Worte treffen ihn nicht. „Ich habe so viel Ehre wie Sie, und ich habe nichts getan, was Sie an meiner Stelle nicht auch getan hätten.“ Der König zieht den Degen. Die umstehenden Offiziere starren ihren Herrscher betroffen an. Wird er zustechen? Friedrich Wilhelm I. ist für seine Zornesausbrüche gefürchtet. Schon als Kind hat er seine prinzlichen Spielgefährten und sogar seinen Lehrer verprügelt. Generalmajor Konrad Heinrich von der Mosel fasst sich ein Herz und tritt zwischen Vater und Sohn. „Sire, durchbohren Sie mich, aber schonen Sie das Leben Ihres Sohnes.“
Doch nicht nur impulsiver Zorn leitet das Auftreten des Königs, sondern auch die (nicht unbegründete) Furcht vor einer Verschwörung. Um ein eventuell bestehendes Komplott aufzudecken, schreckt er nicht davor zurück, den eigenen Sohn foltern zu lassen. In einem Kabinettsbefehl an die Untersuchungskommission schreibt er: „Also sollen sie Katte als wie den Inquistit Friederich um die Wahrheit herauszukriegen auf die Tortur legen, ist meine Ordere.“ In einem Antwortschreiben vom selben Tag lässt Staatsminister Grumbkow den König wissen, dass dies unmöglich sei. Widerstand gegen ein Königswort. Im preußischen Staat ist das ungewöhnlich. Die Haltung des Staatsministers zeugt von persönlicher Courage. Dass königliche Väter ihre prinzlichen Söhne foltern lassen, kann im Europa des 18. Jahrhunderts durchaus vorkommen: So stirbt Zarewitsch Alexei 1718 an der von seinem Vater Peter I. – zur Aufdeckung angeblicher Staatsstreichpläne – angeordneten Tortur. Preußen ist nicht Russland, und so bleibt Friedrich von körperlicher Folter verschont. Die seelischen Qualen, die Hinrichtung seines Freundes beobachten zu müssen, stehen dem 18-Jährigen aber noch bevor.
Der König empfindet nicht nur die Wut eines verratenen Heerführers, sondern auch die Enttäuschung eines gekränkten Vaters. So schreibt er an die Oberhofmeisterin der Königin: „Meine liebe Frau von Kameke. Fritz hat desertiren wollen. Ich habe mich genöthigt gesehen, ihn arretiren zu lassen; ich bitte Sie, auf eine gute Art meine Frau davon zu unterrichten, damit solche Neuigkeit dieselbe nicht erschrecke. Übrigens beklagen Sie einen unglücklichen Vater. F. W.“
Schließlich wird Friedrich in die Festung Küstrin geschafft, dort erwartet er sein ungewisses Schicksal. In der Zelle wandern seine Gedanken oft zu seinem Vertrauten Hans Hermann von Katte. Was wohl mit dem Freund geschehen wird? Er weiß nur zu gut, dass er den jungen Offizier mit einem Brief schwer belastet hat. Vor der Flucht wollte Friedrich Katte folgende schriftliche Anweisung zukommen lassen: „… dass er so lange nicht zu warten, vielmehr von Sinsheim aus (bei Mannheim) fortzugehen gedenke. Katte solle nachkommen und ihn, den Kronprinzen, im Haag unter dem Namen Comte d’Alberville erfragen. Misslänge die Flucht, so wolle er in einem Kloster Zuflucht suchen, wo man unter Skapulier und Kutte den argen Ketzer nicht entdecken werde.“
Dass diese verräterischen Zeilen in falsche Hände und schließlich in jene des Königs gelangen, wird das Schicksal und das Unglück des Hans Herman von Katte.
Am 15. August 1730 ergeht der Befehl, „den Leutnant von Katte vom Regiment Gendarmes verhaften und auf die Wache seines Regiments abführen zu lassen“. Prinzessin Wilhelmine, die Lieblingsschwester Friedrichs, berichtet in ihren Memoiren, dass der unglückliche Leutnant vor der bevorstehenden Verhaftung
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